Nicht selten sehen sich Geistes- und Sozialwissenschaftler dem Vorwurf ausgesetzt, ihre Forschung habe wenig praktischen Nutzen. Lars Erik Cederman tritt den Gegenbeweis an: Der Konfliktforscher erhält für seine Arbeit den Marcel Benoist-Preis – den höchsten Wissenschaftspreis der Schweiz.
Zum ersten Mal überhaupt ging die Auszeichnung – so etwas wie der Schweizer Nobelpreis – damit nicht an einen Naturwissenschaftler. Die Ehrung erhielt der Konfliktforscher für ein Thema mit trauriger Aktualität: Mit seinem Team von der ETH Zürich erforschte Cederman den Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Bürgerkriegen.
Fallbeispiel Rohingya
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, seines Zeichens Präsident der Marcel Benoist Stiftung, unterstrich: «Cedermans Arbeit zu den ethnischen Konflikten verdeutlicht den wichtigen Beitrag, den die Geistes- und Sozialwissenschaften zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten.»
Eine der zentralen Erkenntnisse der Forschungsgruppe: Politische und wirtschaftliche Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen fördern Konflikte. «Burma etwa ist ein gutes Beispiel dafür», erklärt Cederman im Gespräch mit SRF News.
Das südostasiatische Land schreibt seit Jahren Negativschlagzeilen mit der Diskriminierung der muslimischen Minderheit der Rohingya; ihre brutale Vertreibung bildete den vorläufigen Höhepunkt des humanitären Dramas.
«Leider gibt es aber viele ähnliche Beispiele auf der Welt», sagt der ETH-Forscher. Zunehmend macht er auch in etablierten Demokratien die Tendenz aus, ethnische Ungleichheit zu fördern. Die akademische Forschung habe deshalb die wichtige Aufgabe, auf konkrete Risiken hinzuweisen, die in der Hitze der politischen Debatte sonst nicht wahrgenommen werden, sagte Cederman gegenüber der Nachrichtenagentur sda.
Die Erkenntnis, dass sich die Unterdrückung von Minderheiten in Gegenreaktionen bis hin zu Bürgerkriegen entladen kann, scheint naheliegend. In der Konfliktforschung habe aber jahrzehntelang eine andere Lehrmeinung dominiert, erklärt Cederman: «Einflussreiche Forscher vertraten den Standpunkt, dass Ungleichheit gewisser Bevölkerungsgruppen nichts mit dem Ausbruch von Konflikten zu tun hätte.»
Mehr Gerechtigkeit und damit weniger Konflikte liessen sich erreichen, indem ethnische Gruppen in den politischen Prozess einbezogen würden. Zum Beispiel durch Abbau von Diskriminierung, Einführung von Machtteilung und Föderalismus. Allerdings: Minderheiten dürften dabei aber nicht von der Zentralregierung abgekoppelt werden, erklärt der ETH-Forscher. Als Musterbeispiel für einen gelungenen Ausgleich nennt Cederman die Schweiz.
Kompromiss statt Konfrontation
Eine Frage der Balance also. Diese scheint etwa mit Blick auf die Katalonien-Frage in Schieflage geraten zu sein. Immerhin: Der neue spanische Regierungschef Pedro Sanchez kündigte heute an, dass die Katalanen ein Referendum für mehr Autonomie abhalten können.
Cederman begrüsst den Schritt. Die konservative Regierung Rajoy und seine Vorgänger hätten die katalanischen Autonomiebestrebungen lange unterdrückt: «Doch Madrids Kompromisswilligkeit ist für eine friedliche Lösung des Konflikts unabdingbar.»
Als Vermittler zwischen Madrid und Barcelona sieht Cederman sich und seine Forschungsgruppe aber weniger: «Ich glaube nicht, dass Madrid ein grosses Interesse an unserer Forschung haben würde», sagt Cedermann mit einem Lächeln.