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Ein Jahr Gendermedizin an UZH Professorin für Gendermedizin: «Interesse ist sehr hoch»

Im ersten Jahr war der neue Lehrstuhl mit Hürden konfrontiert – insgesamt aber sind die Verantwortlichen zufrieden.

Seit einem Jahr leitet Kardiologin Carolin Lerchenmüller den neu geschaffenen Lehrstuhl für Gendermedizin an der Universität Zürich – der erste seiner Art in der Schweiz. Ihr Ziel: eine Medizin, die biologische und soziale Geschlechterunterschiede ernst nimmt.

Der Anfang ist laut Lerchenmüller – wie jeder Neustart – nicht ohne Hürden verlaufen. Der neue Lehrstuhl hatte die eine oder andere Herausforderung zu bewältigen – und hat es noch immer. Ein Beispiel: Wo setzt man den Fokus?

Teilweise kritische Stimmen aus der Bevölkerung

Hinzu komme die administrative Einarbeitung oder das Etablieren neuer Computersoftware. Und obwohl sich die Universität geschlossen für den neuen Lehrstuhl positioniert habe, gab es aus der Bevölkerung kritische Stimmen.

Dies aber oft aufgrund der Vermischung mit der Debatte um gendergerechte Sprache. «Wenn man erklärt, worum es inhaltlich geht, dann gibt es wenig Widerstand», so Professorin Carolin Lerchenmüller. Denn letztlich sei Gendermedizin ein Schritt in Richtung personalisierte Medizin, wovon alle profitierten – Männer wie Frauen.

Patient liegt auf Bett und ist verkabelt
Legende: Die Verantwortlichen sind überzeugt, dass die Förderung der Gendermedizin medizinische Vorteile bringt. Keystone/Gaetan Bally

Die Verantwortlichen des Lehrstuhls betonen die Wichtigkeit des Themas: Die Erkenntnis, dass die biologischen und soziokulturellen Ausprägungen des Geschlechts erheblichen Einfluss auf Gesundheit, Krankheitsverläufe und Therapien haben.

Weshalb das relevant ist, zeigen Beispiele wie der Herzinfarkt: Während Männer häufig etwa Schmerzen am Körper spürten, erlebten Frauen diffusere Symptome wie Übelkeit, Erschöpfung oder Rückenschmerzen.

Das führe dazu, dass Frauen einen Herzinfarkt oft selbst nicht erkennen – und auch medizinisches Personal nicht sofort die richtigen Massnahmen ergreife, so Lerchenmüller, «mit teils fatalen Folgen».

Forschung basiert vielfach auf männlichen Probanden

Auch bei psychischen Erkrankungen bestünden Unterschiede, aber eher zulasten der Männer. Bei Depressionen seien die Symptome, nach denen diagnostiziert werde – Rückzug, Antriebslosigkeit – eher typisch weiblich. Männer hingegen zeigten häufiger Aggressionen oder Suchtverhalten, was oft übersehen werde, so die Kardiologin Carolin Lerchenmüller.

Ein weiteres Problem: Die Forschung basiert bis heute vielfach auf männlichen Probanden – und das hat Auswirkungen auf Medikamentendosierungen. Etwa bei bestimmten Blutdrucksenkern wisse man, dass Frauen nur die halbe Dosis brauchen. Gebe man ihnen jedoch die volle Dosis, seien Nebenwirkungen häufiger.

Finger mit Messgerät.
Legende: Die Finanzierung des neuen Lehrstuhls ist mithilfe von Spenden und Stiftungen vorläufig gesichert. Auch die Universität Zürich beteiligt sich finanziell. Keystone/Gaetan Bally

Carolin Lerchenmüller und ihr Team haben mittlerweile über 20 Faktenblätter erstellt – für Dozentinnen und Dozenten. Denn viele von ihnen hätten – wie sie selbst – diese Inhalte nie im Studium gelernt. In der Folge sollen Medizinstudierende möglichst breit für Geschlechterunterschiede sensibilisiert werden.

Das Interesse bei den Studierenden sei insgesamt sehr gross. Es werde eher gefordert, dass es mehr Inhalte gibt. Das sei ein gutes Zeichen. Für Lerchenmüller ist indes klar: «Wir sind nie fertig. Jede Antwort wirft fünf neue Fragen auf.» Deshalb will sie die Lehre und auch den Lehrstuhl weiter voranbringen.

Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 11.5.2025, 17:30 Uhr ; 

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