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Ein Naturphänomen schmilzt weg Eishöhlen: Die unterirdischen Gletscher drohen zu verschwinden

Weil die Winter wärmer werden, schmilzt das Eis in den Eishöhlen. Zum Vorschein kommen Erinnerungen vergangener Zeiten.

Jetzt im Winter wächst das Eis in den Eishöhlen. Das sind Kavernen im Fels, welche das ganze Jahr hindurch mit Eis gefüllt sind: kleine unterirdische Gletscher. Solche gibt es auch in geringer Höhe, im Berner Oberland oder im Jura. Die tiefer gelegenen Eishöhlen schmelzen jedoch langsam ab.

Ein Besuch in der Eishöhle «Glacière de Monlési» im Neuenburger Jura. Es ist eine der grössten Eishöhlen der Schweiz.

Ein Loch mitten im Wald

Wie ein offener Rachen liegt das Loch im Kalkfels da. Mitten in einer verschneiten Waldlichtung auf 1100 Meter über Meer. Neuschnee bedeckt den Zustieg in die Eishöhle.

«Eishöhlen sind relativ selten. Besonders im Jura, weil wir hier relativ tief gelegen sind und weil es an der Oberfläche keinen ewigen Schnee oder Gletscher hat», sagt Marc Lütscher. Er ist Wissenschaftler am schweizerischen Institut für Höhlen und Karst-Forschung in La Chaux-de-Fonds: Paläoklimatologe, er forscht zum Klima entlang der Erdgeschichte.

Lütscher begleitet uns in die Eishöhle. Wichtig dabei: Kletterhelm auf dem Kopf und Steigeisen an den Schuhen.

Nach dem Eingang stehen wir in einem Raum – dreissig mal zwanzig Meter. Überall Eiszapfen. Im Winter bildet sich jeweils neues Eis. «Das Wasser sickert durch den Fels und gefriert, wenn es in der Höhle angekommen ist», sagt Marc Lütscher.

Der Eishöhlenforscher

Lütscher zeigt auf Eisschichten, die wie Jahrringe übereinanderliegen. Im Sommer schmelze das Eis, im Winter entstehe neues. Pro Jahr bilde sich im Durchschnitt 10 bis 20 Zentimeter neues Eis. In den letzten Jahren wurde es aber immer weniger: «Wir haben anderthalb bis zwei Meter Eis verloren», sagt Lütscher.

Wir haben anderthalb bis zwei Meter Eis verloren.
Autor: Marc Lütscher Paleoklimatologe

Die Höhle verliere Eis, nicht, weil die Sommer zu heiss seien. Nein – denn im Sommer bleibe die Kälte im Loch gefangen und die Temperatur fast konstant bei null Grad. Der Grund seien die wärmeren Winter. Denn so sinke weniger eiskalte Luft ab und es gefriere weniger Wasser, welches durch den Kalkfels sickere. Es bilde sich also zu wenig neues Eis.

«Seit 2014 hat sich das extrem stark beschleunigt. Wir wissen nicht genau, ob das rein von den generellen Klimaverhältnissen abhängt, oder ob sich das System so stark verändert hat, dass es aus dem Gleichgewicht geraten ist», sagt Marc Lütscher.

Der tiefste Punkt: 32 Meter unter der Erdoberfläche

Durch das Abschmelzen sind in der Eishöhle neue Räume zugänglich. Marc Lütscher robbt durch einen Durchgang im Eis. Er passt gerade so durch und steht in einer weiteren hohen Kammer. 32 Meter unter der Erdoberfläche. «Das ist der tiefste Punkt.»

Aus einer Eiswand ragen alte Holzbretter: «Die sind aus dem 19. Jahrhundert, als oben Eis abgebaut wurde», erklärt Lütscher. Die Holzstücke sind über die Jahrzehnte, durch Abschmelzen und Eisbildung in die Tiefe gelangt.

Zeugen aus vergangenen Zeiten

Wir kehren um. Zurück durch das schmale Loch im Eis, aus der Eishöhle raus, die Leiter hoch, zurück an die schneebedeckte Oberfläche. Tief unter uns liegt die Eishöhle «Monlési» im Sterben. Denn das Eis werde früher oder später verschwinden, befürchtet der Klimawissenschaftler.

Rendez-vous, 20.12.2021, 12:30 Uhr ; 

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