Ob in einer Verteilbox oder auf einem Sitz in einem Zugabteil, die Pendlerzeitung «20 Minuten» ist am Bahnhof überall anzutreffen. Seit über 25 Jahren ist die Gratiszeitung ein stetiger Begleiter für Pendlerinnen und Pendler in der Schweiz.
Wird sie von den einen frühmorgens kurz durchgeblättert, um sich über das Wichtigste zu informieren, füllen andere lieber das Kreuzworträtsel aus oder lesen das Horoskop. Oft wird sie auch ignoriert oder im Zug liegengelassen, bis sie wieder jemand in die Hände nimmt.
Das alles ist bald passé: Die TX Group stellt die Printversion per Ende Jahr ein. Der Grund seien die sinkenden Einträge im Printgeschäft, so das Unternehmen. In der Redaktion und im Verlag werden bis zu 80 Vollzeitstellen abgebaut. Eine Ära geht damit zu Ende.
Ein holpriger Start mit Erfolgspotenzial
Angefangen hat alles an einem kühlen Dezembertag im Jahre 1999. Junge Menschen verteilten die erste Ausgabe von «20 Minuten» an vorbeieilenden Passantinnen und Passanten. Vom Pendeln hatte das Gratisblatt übrigens seinen Namen. Gemäss Statistiken dauerte das Pendeln damals im Schnitt 20 Minuten.
Der Start verlief nicht ohne Schwierigkeiten. So wurde die Zeitung noch für kleinere Druckfehler kritisiert und erst verteilt, nachdem die Stosszeiten am Morgen schon vorbei waren. Die Verteilaktion war ein Überraschungscoup. Abgesehen vom engsten Kreis wusste niemand, dass «20 Minuten», welches damals noch zum norwegischen Medienunternehmen Schibsted gehörte, auf den Markt kommt.
In der Schweizer Medienszene war das Pendlerblatt ein Novum: eine Gratiszeitung, die an Bahnhöfen und Haltestellen in Boxen bereitliegt für unterwegs. Kaum jemand hatte damals an die Gratispendlerzeitung geglaubt. Doch «20 Minuten» kam beim Schweizer Volk an.
Mit kurzen, verständlichen Inhalten erreichte die Zeitung auch diejenigen, die sich sonst nicht gross für Nachrichten interessierten. Mit knapp 300'000 gedruckten Exemplaren in der Deutschschweiz war «20 Minuten» im Jahr 2024 die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes. Doch es gab auch eine Kehrseite. So entstand mit der ersten Gratiszeitung auch das Selbstverständnis, dass Journalismus gratis sei.
Ist das Pendlerblatt aus der Zeit gefallen?
Das jetzige Ende der Printausgabe von «20 Minuten» kommt für Johanna Burger, Medienwissenschaftlerin der Fachhochschule Graubünden, nicht überraschend. «Wir sehen ähnliche Entwicklungen schon seit Jahren, vor allem bei Schweizer Regionalmedien.» Nun fällt ein weiteres sichtbares Medium weg. «Künftig muss man sich eine App herunterladen und sich die Neuigkeiten selbst suchen, was man zuvor einfach so zufällig im Zug gefunden hat.»
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Bild 1 von 10. Mit dieser Ausgabe kam die Pendlerzeitung «20 Minuten» auf den Markt. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 2 von 10. Seitdem berichtet «20 Minuten» über People Geschichten... Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 3 von 10. ...sowie auch über Politik. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 4 von 10. Für Breaking News änderte sie auch ihre Frontseiten. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 5 von 10. Beim Terroranschlag auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» erschien die Titelseite in Schwarz. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 6 von 10. Auch Sportthemen schafften es bei «20 Minuten» auf die Titelseite. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 7 von 10. Die Pendlerzeitung wird täglich auf Deutsch, Französisch und Italienisch gedruckt. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 8 von 10. Das Lifestyle-Magazin «20 Minuten Friday» gibt es schon länger nur noch Online. 2019 wurde die gedruckte Ausgabe eingestellt. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 9 von 10. Letztes Jahr feierte «20 Minuten» ihr 25-jähriges Bestehen, ein Ereignis, das auf die Titelseite kam. Bildquelle: 20 Minuten.
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Bild 10 von 10. Bei der heutigen Ausgabe steht die Aktualität im Fordergrund. Bildquelle: 20 Minuten.
Doch ist es für junge Menschen, die vor allem online unterwegs sind, wirklich ein Verlust? Zu einem gewissen Teil, meint die Medienwissenschaftlerin. «Es gibt viele junge Leute, die Medien nicht aktiv konsumieren. Diese hätte man allenfalls noch mit einer Printausgabe einer Pendlerzeitung erreichen können.» Künftig werde dies noch schwieriger sein.
Die blauen Verteilboxen bleiben übrigens noch bestehen. «20 Minuten» prüfe aktuell, wie dieses Boxen-Distributionsnetz weiter genutzt werden könnte, schreibt das Unternehmen. Möglich sei «eine Print-Innovation mit einem neuen Erscheinungsrhythmus», die sich an der heutigen Mediennutzung der Pendlerinnen und Pendler orientiere.