Wenn Sie in der Stadt leben, hat das Einfluss auf Ihr Gehirn. Das Risiko, an Schizophrenie oder Depression zu erkranken, ist in einer Grossstadt höher als auf dem Land. Das zeigen Forschungen des Psychiaters Mazda Adli. Eine relevante Forschung – schliesslich lebt weltweit jeder zweite Mensch in einer Stadt.
SRF News: Warum kann eine Stadt unserer Psyche schaden?
Mazda Adli: Bestimmte psychische Erkrankungen kommen bei Stadtbewohnern häufiger vor. So sind Depressionen 1,5 Mal so häufig wie bei Landbewohnern, und das Risiko für Stadtbewohner, an Schizophrenie zu erkranken, ist sogar zwei- bis dreimal so hoch.
Was macht die Städter krank?
Es weist alles darauf hin, dass es mit sozialem Stress zu tun hat. Sozialer Stress entsteht aus dem Zusammenleben von Menschen auf begrenztem Raum und hat verschiedene Teilkomponenten: Einerseits die soziale Dichte im Sinne von Überenge, andererseits soziale Isolation, also Ausschlusserfahrung oder das Gefühl von Einsamkeit. Kommt das zusammen, kann die Mischung problematisch sein. Insbesondere, wenn man das Gefühl hat, dem sozialen Stress ausgeliefert zu sein und nichts an der Situation verbessern zu können.
Eine Stadt könnte ja aber auch Menschen anziehen, die Anonymität suchen.
Psychisch labile Menschen suchen in der Tat eher Städte auf. Vielleicht auch, weil sie sich eine bessere Gesundheitsversorgung erhoffen. Aber das erklärt nicht, warum die Zahl von psychischen Krankheitssymptomen in der Stadt grösser ist. Vieles deutet auf eine Kausalität hin. Je mehr Jahre der Kindheit und Jugend jemand in der Stadt verbracht hat, desto grösser wird das Schizophrenie-Risiko im Erwachsenenalter.
Unter dem Strich vereinen Städte mehr Vorteile als Nachteile auf sich.
Und es gilt auch: Je grösser die Stadt, in der jemand aufgewachsen ist, desto grösser das Schizophrenie-Risiko im Erwachsenenalter. Aber: Es heisst noch nicht per se, dass Stadt krank macht. Es heisst zunächst einmal, dass Stadt und Psyche interagieren. Und erst, wenn weitere Risikofaktoren dazukommen – etwa ein genetisches Risiko –, kann die Mischung toxisch werden.
Ihr Buch heisst «Warum Städte uns krank machen und warum sie trotzdem gut für uns sind». Warum sind sie trotzdem gut für uns?
Städte haben viele Vorteile, derentwegen wir auch gerne in ihnen leben. Immer mehr Menschen zieht es in die Städte wegen ihres Versprechens auf bessere Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten und mehr Chancen auf Wohlstand. Ganz zu schweigen vom kulturellen Reichtum der Städte.
Menschen mit Migrationshintergrund geht es in Städten meist schlechter.
Unter dem Strich vereinen Städte mehr Vorteile als Nachteile auf sich. So lange jemand die Möglichkeit hat, an diesen Vorteilen zu partizipieren, so lange ist die Stadt auch gut zu einem. Wenn man zu einer Risikogruppe gehört, die per se schon einem höheren sozialen Isolationsrisiko ausgesetzt ist, beginnt das Problem. So geht es zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund in Städten meist schlechter.
Wie müsste eine Stadt gebaut sein, damit möglichst viele Menschen profitieren können?
Eine Stadt braucht viel öffentlichen Raum, Plätze und breite Bürgersteige, die die Menschen stimulieren, möglichst viel Zeit auch ausserhalb ihrer eigenen vier Wände zu verbringen. Zeit im öffentlichen Raum schützt vor sozialer Isolation und fördert die Teilhabe am Stadtleben. Öffentliche Plätze haben einen Public-Health-Auftrag. Dazu gehören auch Kultureinrichtungen. Jede Kleinkunstbühne hält uns psychisch gesund. Darüber müssen wir uns im Klaren sein, wenn über Kultursubventionen gestritten wird.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.