Das Bezirksgericht Zürich hat am Mittwochabend einen Stadtpolizisten vom Vorwurf der versuchten Tötung freigesprochen. Der Polizist hatte vor fünf Jahren elf Schüsse auf einen Äthiopier abgegeben, der mit einem Fleischmesser auf ihn zuging.
Das Gericht folgte damit dem Staatsanwalt, der ebenfalls einen Freispruch forderte – eine Seltenheit in einem Strafverfahren. Zu reden gab im Gerichtssaal denn auch die Frage, ob die Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei nicht zu gross sei, um eine unbefangene Untersuchung zu garantieren. Staatsrechtsprofessor Markus Schefer liefert Antworten.
SRF News: Kann man generell davon reden, dass Staatsanwaltschaft und Polizei in der Schweiz ein Nähe-Problem haben?
Markus Schefer: Für den Aussenstehenden kann durchaus der Eindruck entstehen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft sehr eng beieinander sind. Sie sind beide Teil des Sicherheitsapparates und arbeiten beide in eine ähnliche Richtung. Man kann aber nicht pauschal sagen, dass die Staatsanwaltschaft befangen ist. Man kann das Problem aber auch nicht einfach verleugnen.
Es kann also in einzelnen Fällen ein Problem geben?
Ich könnte mir vorstellen, dass insbesondere in kleinen Kantonen, in denen zur institutionellen Nähe eine persönliche Nähe hinzukommt, die genügende Unbefangenheit der Staatsanwaltschaft im konkreten Fall nicht mehr gegeben ist.
Nichtregierungsorganisationen und UN-Gremien kritisieren seit Jahren, dass die Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei in der Schweiz zu gross sei. Warum passiert nichts?
Wenn man sich die Frage der Nähe von Polizei und Staatsanwaltschaft stellt, stellen sich sofort weitere Fragen der Nähe im Bereich der Justiz. Dies, weil die Kantone zum Teil sehr kleinräumig sind. Dann haben wir plötzlich ein sehr grosses Problem vor uns. Dieses anzugehen, würde relativ grosse institutionelle Änderungen bedingen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In kleinen Kantonen kennen sich Anwälte und Richterinnen und auch Verwaltungsangestellte und Richter. Es ist eine enge Situation, die unter Umständen den Eindruck erwecken kann, dass die nötige Unbefangenheit nicht mehr da ist.
Zumindest in Fällen, in denen Polizisten angeklagt sind, wird immer wieder ein Vorschlag gemacht: Ein Staatsanwalt aus einem anderen Kanton soll den Fall bearbeiten. Würde das mehr Distanz bringen?
Sie lösen damit das Problem der institutionellen Nähe nicht. Der Staatsanwalt aus dem anderen Kanton ist auch ein Staatsanwalt. Wenn das Problem hier liegt, wird es nicht gelöst. Im persönlichen Bereich wird allerdings eine zusätzliche Distanz geschaffen. Wo zur institutionellen Nähe persönliche Nähe dazukommt, können Sie die Situation mit dem Beizug eines ausserkantonalen Staatsanwalts entschärfen.
Wäre das also eine gute Idee oder nicht?
Das kommt auf die konkrete Konstellation an. Es wäre nicht generell gut oder generell schlecht. Manchmal nützt es etwas, manchmal nicht.
Die Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei kann also schwierig sein. Eine Lösung zu finden ist aber auch nicht ganz einfach?
In konkreten Einzelfällen, in denen für den Aussenstehenden der Eindruck entsteht, dass die Unbefangenheit der Staatsanwaltschaft nicht mehr gegeben ist, kann man Lösungen finden. Wenn man aber ein Grundsatzproblem in diesem Nähe-Verhältnis sieht, wird es schwierig, eine Lösung zu finden.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.