Wenige Tage nach dem Tsunami reiste M.H. 2005 als Helfer nach Banda Aceh in Indonesien. Für ihn war es der erste Einsatz als Logistiker für das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe (SKH). 25'000 Menschen kamen damals alleine in der Stadt Banda Aceh ums Leben.
«Überall lagen Schutt, Geröll, Dreck, Leichen. Der Verwesungsgestank war furchtbar. Und überall Armee-Bagger, die Massengräber aushoben.» Die Bilder von damals lassen ihn nicht mehr los. Dazu musste M.H. bei einem starken Erdbeben – 8,6 auf der Richterskala – um sein Leben fürchten. «Auf dem Rückflug in die Schweiz weinte ich nur noch. Erst dachte ich, das gehört dazu, das geht wahrscheinlich jedem so, es wird bestimmt wieder gut.»
Auf dem Rückflug in die Schweiz weinte ich nur noch. Erst dachte ich, das gehört dazu, das geht wahrscheinlich jedem so, es wird bestimmt wieder gut.
Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung
Doch es wurde nicht wieder gut. Er war psychisch krank, traumatisiert. M.H. machte eine Therapie, fühlte sich danach wieder gesund und leistete während zehn Jahren weitere Einsätze als Logistiker, sechs davon als Logistikchef. Er arbeitete in Libyen im Rebellengebiet Benghazi, organisierte LKW-Konvois aus der Schweiz in den Nordirak mit Winterzelten für Kriegsflüchtlinge.
Sein letzter Einsatz war 2015 nach einem schweren Erdbeben in Nepal. Dort musste er wegen einer Magen-Darm-Erkrankung ins Spital und erlebte ein weiteres Mal Todesangst bei einem Nachbeben. «Wer konnte, ist in Panik hinausgerannt. Ich war geschwächt und hing an der Infusion. Ich betete, dass das Haus nicht zusammenfällt. Mein erstes Trauma in Indonesien wurde wieder aufgebrochen.»
Wieder daheim versucht er in sein Leben zurückzufinden. Doch das gelingt nicht. Immer wieder landet er wegen Atemnot auf der Intensivstation, arbeiten ist nicht mehr möglich. Zwei Jahre nach Nepal erhielt er die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung.
Während seiner Einsätze war er bei der Militärversicherung versichert. Doch seine Versicherung bezahlt seit drei Jahren nicht. Es läuft ein zermürbender Prozess.
«Ich hatte einen Diplomatenpass zu meiner Sicherheit in Kriegsgebieten und fühlte mich sicher, weil im Notfall die Versicherungsleistungen im Arbeitsvertrag fliessen. Dass das nicht so ist, hätte ich mir nie erträumen lassen.»
Abgeschmettert vom Bundesgericht
Die Militärversicherung betreibt die Suva im Auftrag und auf Kosten des Bundes. Sie versichert auch Mitglieder des Schweizerischen humanitären Korps. Im Fall von M.H. weigert sie sich zu bezahlen, dies obwohl die Beurteilung ihres eigenen Psychiaters bestätigt, dass M.H. zumindest teilweise krank ist, weil er in seinen Einsätzen traumatische Erlebnisse hatte.
M.H. muss sich vor Gericht wehren. Die erste Instanz – das Versicherungsgericht des Kantons Aargau – gibt ihm Recht. Doch die Militärversicherung akzeptiert das Urteil nicht und zieht den Fall vor Bundesgericht.
Anfangs 2021 entschied das Bundesgericht, dass Suva und Militärversicherung nicht bezahlen müssen. Der Grund: M.H. habe viel zu heftig reagiert, das entspreche nicht dem normalen Lauf der Dinge. Darum bekommt er keine Leistungen. Die Adäquanz des Kausalzusammenhangs sei nicht gegeben. Zudem habe sich M.H. nie in objektiver Lebensgefahr befunden.
Das Urteil ist ein schwerer Schlag für den ehemaligen Helfer. Er weiss nicht, wie es weitergehen soll, fürchtet um seine Existenz: «Sie haben es geschafft, einen Bürger der sich für den Staat einsetzt, in einen Bürger zu verwandeln, der nichts mehr zu tun haben will mit dem Staat.»