Der «lange Arm Chinas» ist bis in die Schweiz zu spüren: Chinesische Spitzel überwachen eigene Bürgerinnen und Bürger im Ausland – vor allem Uiguren und Tibeter. Sie spionieren sie aus, machen ihnen Angst oder bedrohen sie gar. Inzwischen gibt es mehrere Berichte dazu.
Laut der Rechtsanwältin und Strafverteidigerin Ganden Tethong – selbst tibetischer Herkunft – erfüllt das Verhalten der chinesischen Spitzel mindestens zwei Tatbestände: verbotener Nachrichtendienst gegen die Schweiz und Nötigung gegenüber Privatpersonen. Trotzdem weiss sie von keinem einzigen Fall, in dem es zu einem Gerichtsverfahren gekommen wäre.
Schweiz hält sich zurück
Beim verbotenen Nachrichtendienst ist die Schweiz selbst das «Opfer», das sich wehren müsste. «Eigentlich wäre es aufgrund der Berichte angezeigt, dass die Schweizer Behörden eine Strafuntersuchung einleiten», sagt Tethong. «Doch die offizielle Schweiz wird aus Rücksicht auf China nicht an einer solchen Strafuntersuchung interessiert sein.»
Laut Beat Gerber von Amnesty International hält sich die Schweiz zurück. «Man kann davon ausgehen, dass der Bundesrat mit Samthandschuhen vorgeht, weil China als Weltmacht sorgfältig behandelt wird und die Schweiz einen Eklat verhindern will.» Als andere Staaten Personen in der Schweiz entführen liessen, sei die Schweiz durchaus tätig geworden.
Opfer trauen sich nicht
Die Opfer von chinesischen Nötigungen erstatten laut Gerber und Tethong kaum je Anzeige. «Viele dieser Repressalien könnten eigentlich strafrechtlich verfolgt werden, aber die meisten Menschen wagen das nicht, weil sie um das Schicksal ihrer Angehörigen in der Heimat fürchten», sagt Gerber. China setzt gezielt Angehörige in der Heimat unter Druck, wenn jemand sich im Ausland nicht wie erwünscht verhält. So könnte etwa die Grossmutter in Tibet ihre Rente verlieren oder die Schwester ihren Studienplatz.
Weil Nötigung ein Offizialdelikt ist, müssten die Staatsanwaltschaften eigentlich von sich aus tätig werden. Laut Tethong tun sie das nicht, weil sich keine Personen finden lassen, die bereit sind, vor Gericht auszusagen – durch ein öffentliches Gerichtsverfahren würde China ja die Namen der Betroffenen erfahren. Ohne die Aussagen der Opfer ist es für Staatsanwaltschaften aber schwierig, eine Straftat zu beweisen.
Hafterleichterungen für Vater versprochen
Wie perfid und wirkungsvoll das System ist, zeigt das Beispiel eines früheren Klienten Tethongs. «Einer meiner tibetischen Klienten hat Filmaufnahmen einer Veranstaltung der Tibetergemeinschaft Schweiz gemacht und an eine Mittelsperson der chinesischen Behörden übergeben, weil ihm im Gegenzug versprochen worden war, dass sein Vater – der als politischer Gefangener in einem chinesischen Gefängnis sass – Hafterleichterungen bekommen würde.» Laut Tethong haben die chinesischen Behörden damit eigentlich verbotenen Nachrichtendienst betrieben. Doch der Tibeter würde niemals in einem Strafverfahren aussagen – zu gross ist die Angst um seinen Vater.