Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Am 8. Mai 1945 läuteten in der Schweiz die Kirchenglocken. Der Schrecken des Krieges war vorbei.
Unzählige Publikationen wurden in den vergangenen 80 Jahren über die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg veröffentlicht. Relativ wenig beachtet wurde dabei das Kriegsende. Christian Koller, Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs, hat interessante Dokumente aus dieser Zeit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
«Säuberungen» gegen Nazis in der Schweiz
Obwohl ab dem 8. Mai 1945 offiziell Frieden herrschte, waren auch in der Schweiz alte Rechnungen mit politischen Gegnern – vor allem Nazis – noch keinesfalls beglichen. Linke Kreise forderten ein entschlossenes Vorgehen gegen ausländische Nazis sowie Schweizer Nazi-Sympathisanten, wie Historiker Koller auf «Sozialarchiv.ch» schreibt.
Bereits am 30. Mai 1945 publizierte die Zeitung «Volksrecht» eine «Erste Liste der ausländischen Feinde der Demokratie in der Schweiz», welche die Namen deutscher Nazis in der Schweiz sowie deren Aufenthaltsorte enthielt. Linke Parteien und Gewerkschaften organisierten Demonstrationen zur Ausweisung von Nazis und starteten in mehreren Kantonen «Säuberungspetitionen».
In Zürich rief der Kantonsrat eine parlamentarische Kommission ins Leben, die als «Säuberungskommission» bekannt wurde. Ihr Ziel war es, die Ausweisung von ausländischen Nationalsozialisten zu prüfen. Insgesamt wurden im Kanton Zürich fast 800 Verfahren eingeleitet, von denen mehr als die Hälfte zu Ausweisungen führten, so Koller.
Rappan und der Nationalsozialismus
In diesen Akten taucht auch ein prominenter Name auf: Karl Rappan. Der Österreicher Rappan war zu jener Zeit Trainer der Schweizer Fussballnationalmannschaft. Während des Zweiten Weltkriegs war seine gesamte Familie in der Schweiz in Nazi-Organisationen aktiv, Rappan selber war Spender des nationalsozialistischen Opferrings. 1942 erhielt die Bundesanwaltschaft auch Hinweise auf eine angebliche NSDAP-Mitgliedschaft Rappans.
Nach dem Ende des Krieges forderten daher einige Stimmen in der Schweizer Presse die Entlassung von Rappan als Nationaltrainer und sogar seine Ausweisung, wie Beat Jung in seinem Buch «Die Nati» schreibt. Die Zürcher Polizeidirektion widmete dem «Fall Rappan» in ihren Berichten an die «Säuberungskommission» ungewöhnlich viel Platz – statt der üblichen halben Seite wurde dem Fall fünfeinhalb Seiten eingeräumt.
Darin wurde ausgeführt, dass sich Rappans Nazi-Gesinnung und insbesondere seine von der Presse kolportierte NSDAP-Mitgliedschaft nicht nachweisen liessen, weshalb das Verfahren gegen ihn 1946 eingestellt wurde. Rappan habe lediglich mit den Nationalsozialisten kooperiert, «um es mit ihnen nicht zu verderben». Also kein Landesverweis.
Laut Historiker Koller verdeutlicht der «Fall Rappan» anschaulich, wie rasch der «Säuberungs»-Eifer in der Schweiz nachliess: Der Österreicher war bis 1949 und in den 1950er- und 1960er-Jahren noch zweimal Trainer der Nati.
Rappan wurde schliesslich auch erstes ausländisches Ehrenmitglied des Schweizerischen Fussballverbands. Später nahm Rappan auch die Schweizer Staatsbürgerschaft an. Die definitive Niederlassungsbewilligung hatte Rappan bereits drei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten.