Diese Geschichte endet dramatisch: Am frühen Mittwochmorgen, dem 24. Mai 1854, wird der 33-jährige Bernhard Matter in Lenzburg von einem Scharfrichter per Schwert geköpft – öffentlich, vor über 2000 Schaulustigen, die teilweise stundenlang angereist waren. Matter wird der letzte Aargauer sein, der öffentlich hingerichtet wird.
Trotz der martialischen Bestrafung war Matter kein Mörder oder Schwerverbrecher, sondern ein Dieb. Ein mehrfacher, notorischer und erfolgreicher Dieb zwar, aber trotzdem «nur» ein Dieb. Zudem einer, der häufig vor allem Nahrungsmittel gestohlen hat, in einer Zeit, in welcher das Essen stets knapp war und Leute im Aargau auch an Hunger gestorben sind.
Die Todesstrafe gegen Matter hatte wohl neben seinen vielen Delikten viel mit seinem Widerstand gegen die staatliche Repression und mit seiner öffentlichen Wahrnehmung zu tun. Mehrfach bricht der junge Mann nämlich aus Strafanstalten aus, auch aus vermeintlich ausbruchssicheren Institutionen. Er erhält da und dort Unterschlupf durch «Bezahlung» mit gestohlenen Lebensmitteln, steht bald im Ruf eines edlen Räubers, der den Reichen nimmt und den Armen gibt, ein Aargauer Robin Hood quasi.
Er sei durch seine Ausbrüche zu einem regelrechten Staatsfeind geworden, sagt Matter-Kenner Markus Kirchhofer, Co-Autor einer Graphic Novel über Matters Leben: «Damit hat er letztendlich den Staat lächerlich gemacht und dieser griff dann zum letzten Mittel der Notwehr, zur ‹Vertilgung›.» Matter, der schon zu Lebzeiten zur Legende avancierte, sollte ausgelöscht werden, ein Gnadengesuch hat das Aargauer Kantonsparlament abgelehnt.
Seine öffentliche Hinrichtung habe im Aargau einige Diskussionen ausgelöst, die wenige Jahre später in eine neue Strafprozessordnung und die Reform des Gefängniswesens mündeten, heisst es im Historischen Lexikon der Schweiz HLS . Darüber hinaus hat Matter auch Kunst und Kultur immer wieder beschäftigt. Zum Beispiel hat der, ebenfalls legendäre, Berner Chansonnier Mani Matter seinem nicht-verwandten Vorfahren ein Lied gewidmet, womit Bernhard Matter definitiv über den Aargau hinaus bekannt wurde.
Anlässlich des 200. Geburtstages von Bernhard Matter beschäftigen sich 2021 zwei Projekte mit dem Aargauer Gauner und Ausbrecherkönig. Zum einen erschien die bereits erwähnte Graphic Novel, zum anderen produzieren das Kurtheater Baden und die Alte Reithalle Aarau zusammen das Musiktheater «Matter - Justizmord aus Notwehr», welches die bewegte Biografie aus heutiger Perspektive erzählt, beleuchtet und einordnet.
Matter ist nur einer von vielen Hingerichteten
Im Stück gehe es nicht um eine Verklärung des mehrfach verurteilten Diebes, es kommen zum Beispiel auch die Gefühle der Einbruchsopfer vor. Theaterregisseur Nils Torpus sagt: «Er war wohl einfach ein ‹armer Siech›. Wäre er nicht der letzte gewesen, der öffentlich hingerichtet wurde, würden wir wohl kaum über ihn sprechen.»
Den Bezug in die Gegenwart stellt das Theater auch mit der Frage nach der Verhältnismässigkeit der Strafe her. Heute ist ein Ausbruch aus dem Gefängnis gar keine Straftat mehr. Bernhard Matters Diebstähle würden ihm heute wohl eine Haftstrafe von drei bis fünf Jahren einbringen.
Man wolle mit dem Stück auch die Geschichte der jahrhundertelang praktizierten Todesstrafe im Aargau aufarbeiten, sagt Mitautor Markus Kirchhofer. Zum Beispiel werden 90 Namen von Menschen gezeigt, die auf dem Richtplatz Fünflinden bei Lenzburg hingerichtet wurden und meist auch heute noch dort verscharrt seien.