Das Kantonsparlament ist Geburtsort von so manchem Pilotprojekt – allerdings wird dessen Notwendigkeit nicht sonderlich häufig direkt im Ratssaal demonstriert. In diesem Fall allerdings schon: Vor rund zwei Jahren war die Gesellschaft der Gehörlosen Gast im Schaffhauser Kantonsrat. Mit dabei: Zwei Dolmetscherinnen, die die ganze Sitzung in Gebärdensprache übersetzt haben.
Die Schaffhauser Abstimmungsvorlagen in Gebärdensprache
Dieser Moment war für den Kanton die Initialzündung, seine Bemühungen zu intensivieren. Gehörlose Menschen sollten noch besser am politischen Leben teilnehmen können – auch an den Abstimmungen. Der Kanton bietet deshalb die Erklärvideos zu den Abstimmungsvorlagen vorläufig bis Ende Jahr auch in Gebärdensprache an – als erster Kanton der Schweiz.
Wie sieht «Steuergesetzrevision» in Gebärdensprache aus?
Auf Erfahrungen aus anderen Kantonen konnte man bei diesem Projekt nicht zählen, sagt die Schaffhauser Ratssekretärin und Projektverantwortliche Claudia Indermühle. «Wir haben in zwanzig Kantonen nachgefragt und einzig im Kanton Genf sind Bestrebungen dafür im Gang», sagt sie. In den anderen Kantonen werde ein solches Projekt aktuell nicht ernsthaft verfolgt.
Anders also der Kanton Schaffhausen: Nachdem bereits im letzten November Erklärvideos in Gebärdensprache erschienen sind, kommen diese nun auch bei den aktuellen, kantonalen Abstimmungsvorlagen zum Zug. Mit der nicht ganz einfachen Aufgabe betraut, komplexe Wörter wie etwa «Steuergesetzrevision» in Gebärdensprache zu übersetzen, wurde Dolmetscherin Pierina Tissi.
Die Theaterbühne vor dem Bauch
«Begriffe, die nicht bildhaft umsetzbar sind, werden ausgesprochen und müssen abgelesen werden», sagt Tissi, die mit zwei gehörlosen Schwestern aufgewachsen ist und in den 1980er-Jahren eine der ersten Ausbildungen zur Gehörlosendolmetscherin in der Schweiz gemacht hat. Diese komplexen Begriffe sind auch ein Grund, warum die Gebärdendolmetscher neben Handzeichen auch ihre Lippen bewegen.
«Die Gebärdensprache ist eine visuelle Sprache. Der Zuschauer muss sich bildhaft etwas vorstellen können.» Tissi stellt sich deshalb während ihrer Arbeit vor, sie trage eine kleine Theaterbühne als Bauchladen vor sich her. So versuche sie, bildhafte Szenen zu kreieren. Elementar dafür sei, dass sie selbst gut informiert sei und komplexe Themen verstehe.
Bleibt die Frage: Warum überhaupt Erklärvideos in Gebärdensprache zur Verfügung stellen, wenn doch alle Abstimmungsinformationen auch nachgelesen werden können? «Für Gehörlose ist der Text die schriftliche Form der Fremdsprache», erklärt Tissi. Das bedeutet: Hauptsächlich Menschen, die von Geburt an taub sind, haben Mühe mit Lesen und Textverständnis. «Was wir mit Betonungen machen, auch wenn wir einen Text innerlich lesen, das fällt für Gehörlose alles weg.» Es gebe keine Nuancen, Wörter werden nur in ihrem eigentlichen Sinn erlernt.
Das Projekt dauert noch bis Ende Jahr
Gerade auch deswegen seien die Reaktionen auf diesen Abstimmungsservice bislang positiv ausgefallen, sagt Ratssekretärin Claudia Indermühle. «Die Erhebungsdaten, die wir bekommen haben, sind natürlich nicht immens. Dafür ist der Kreis der betroffenen Bevölkerungsgruppe zu klein.» Aber es seien genügend positive Stimmen eingegangen, um das Projekt weiterzuverfolgen. Deshalb werden in diesem Jahr alle kantonalen Vorlagen in Gebärdensprache übersetzt und erst danach entscheiden, wie es mit dem Projekt weitergeht.