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Salathé: «Ein grösserer Bundesrat würde die Diversität besser abbilden»
Aus Tagesschau am Vorabend vom 31.05.2022.
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Erweiterung des Bundesrats Herr Salathé, funktioniert der Bundesrat zu neunt besser?

Soll der Bundesrat neu aus neun statt sieben Mitgliedern bestehen? Eine Frage, die regelmässig aufs Tapet kommt – auch heute wieder im Ständerat. Und dieser will aber alles so belassen, wie es ist. Zum Missfallen von Marcel Salathé. Der bekannte Epidemiologe ist einer der flammendsten Befürworter einer personellen Aufstockung der Landesregierung. Seine Beweggründe erklärt er im Interview.

Marcel Salathé

Marcel Salathé

Professor für Epidemiologie

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Marcel Salathé ist Epidemiologe an der ETH Lausanne (EPFL). Er ist Professor und leitet das Digital Epidemiology Lab an der EPFL. Bis im Februar 2021 war er zudem Mitglied der Covid-Taskforce des Bundes.

SRF News: Marcel Salathé, wieso soll der Bundesrat besser funktionieren, wenn es neun anstatt sieben sind?

Marcel Salathé: Die Parlamentarische Initiative, die heute diskutiert worden ist, wollte die Konkordanz stärken; da gibt es sicher gute Argumente. Ein grösserer Bundesrat würde die Diversität besser abbilden, gerade die neue politische Diversität. Uns als CH++ ging es vor allem auch darum, die Idee eines Technologie-Departements zu platzieren, das uns früher oder später als fast unvermeidbarer Schritt erscheint.

Zu diesem Technologie-Departement später. Die Schweiz ist das einzige Land der Welt, das eine Kollegialbehörde als Regierung hat. Da gibt es keinen Chef, der sagt, wie es läuft. Es scheint plausibel, dass das mit neun schwieriger ist als mit sieben. Ihnen nicht?

Nein, das ist mir nicht plausibel. Mit diesem Argument müsste man eigentlich auf fünf gehen, oder auf drei, und irgendwann sagt einer, wenn ich das allein mache, dann geht das am besten. Es ist ja genau die Idee des Bundesrats, dass man die Macht auf mehrere aufteilt. Der Bundesrat besteht seit 170 Jahren aus sieben Personen, die Verwaltung ist mittlerweile explodiert auf über 40'000 Personen, das ergibt eine unglaubliche Machtkonzentration pro Person.

Die Organisation CH++, die Sie mitgegründet haben, will diese Ausweitung auf neun Bundesräte auch, damit es ein neues Technologie-Departement gibt. Warum braucht es das unbedingt?

Wir haben kein Departement, welches sich nur um dieses zentrale Thema kümmert. Und das muss sich ändern.
Autor: Marcel Salathé Epidemiologe

Die Technologie ist heute der treibende Faktor für Veränderungen auf fast allen Ebenen, im beruflichen wie im privaten Leben, auf staatlicher Ebene sowieso. Energie, Verteidigung, Transport – die Liste ist unendlich. Genau in diesem Bereich hapert es in der Schweiz. Wir haben kein Departement, welches sich nur um dieses zentrale Thema kümmert. Und das muss sich ändern.

Es hapert ein bisschen, sagen Sie. Das ist massiv untertrieben. Sie schreiben in einem Dokument, dass die Verwaltung, das Gesundheitswesen, die Infrastrukturen ein Technologie-Defizit von bis zu zwei Jahrzehnten aufweisen würden. Und dass das eine Bedrohung für Wohlstand, Demokratie und Freiheit sei. Ein grosses Problem also?

Ein sehr grosses Problem! Und ein Problem, das strukturell unterschätzt wird. Viele Dinge, die nicht gut funktionieren, zum Beispiel das elektronische Patientendossier EPD oder das elektronische Impfbüchlein, sind technologisch seit 20 Jahren machbar und in anderen Ländern auch schon seit 20 Jahren in Betrieb. Bei uns aber immer noch nicht.

Es gibt keine Sicherheit, kein Vertrauen, keine Innovation im digitalen Raum, wenn man diese Technologien nicht beherrscht.
Autor: Marcel Salathé Epidemiologe

Jetzt kann man natürlich sagen, das EPD ist keine grosse Sache, aber wenn wir vom Effekt von Cyber-Sicherheit, von Künstlicher Intelligenz und so weiter sprechen, da wird es einem schon ein wenig mulmig. Es gibt keine Sicherheit, kein Vertrauen, keine Innovation im digitalen Raum, wenn man diese Technologien nicht beherrscht.

Sie sagen also, die Schweiz sei technologisch nicht gerade im Mittelalter, aber doch zurückgeblieben.

Nicht die ganze Schweiz, sondern die Verwaltungsebene. Ja, in der Politik und der Verwaltung gibt es dieses Defizit.

Sie waren einer der Köpfe der Wissenschaft in der Pandemie. Sie waren in der Taskforce, haben sehr intensiv mit der Politik und der Verwaltung zusammengearbeitet. Es entsteht der Eindruck, Sie hätten einen schlechten Eindruck bekommen, wie Politik und Verwaltung funktionieren. Sonst würden Sie jetzt nicht so reden.

Ich habe einen gemischten Eindruck bekommen. Ich habe das Gute gesehen und ich habe das klare Verbesserungspotenzial gesehen. Und für mich als Bürger war es einfach nicht möglich, an der Seitenlinie zu stehen, mit den Schultern zu zucken und zu sagen: Es ist nun halt mal so. Ich sehe in meinem beruflichen Alltag, wie stark die Schweiz in wissenschaftlichen und technologischen Fragen ist. Dass wir da nicht besser sind, auf der politischen und der Verwaltungsebene, das hat mich gestört.

Der Ständerat hat die Initiative zur Vergrösserung des Bundesrats mit 29:9 deutlich abgelehnt. Diese ist jetzt erledigt. Sie könnten auch eine Volksinitiative einreichen.

Ja, das könnten wir, und das überlegen wir uns auch im Moment. Es ist nicht klar, ob CH++ die Stärke hat, das zu machen. Aber es gibt etliche Organisationen, die die Wichtigkeit erkennen, den Bundesrat – der in den letzten 170 Jahren so gut funktioniert hat – auch für die nächsten 170 Jahre anpassen zu können.

Das Gespräch führte Urs Leuthard.

Tagesschau, 31.05.2022, 18 Uhr;

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