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Europa-Debatte im Parlament Ungeduldige Rufe von Befürwortern und Bremsern

Wie weiter beim Rahmenabkommen? Der Nationalrat machte seinem Ärger am Tag vor dem Bundesratsentscheid kräftig Luft. Derweil bleibt Aussenminister Cassis dabei: Bis Ende des Jahres soll ein Abschluss gelingen.

Die grosse Kammer hat heute einmal mehr die Chancen und Risiken eines Rahmenabkommens mit der EU ausgeleuchtet. Dazu gehörten insbesondere die offenen Fragen bei den flankierenden Massnahmen für Lohnschutz. Bereits am morgigen Freitag wird ein Entscheid des Bundesrats zum weiteren Vorgehen mit Brüssel erwartet. Bereits heute machte Aussenminister Ignazio Cassis klar: Er glaubt weiter an einen Abschluss noch in diesem Jahr.

FDP: Scharfe Kritik an SVP und SP

«Heute ist der Tag gekommen, um die notorische Streuung von Falschaussagen im Volk zu entlarven», stellte Hans-Peter Portmann im Namen der FDP-Fraktion fest. Er kritisierte diesbezüglich die SVP wie auch die SP scharf und sprach von «systematischem Brainwashing». Die Behauptung der SVP, eine Mehrheit der Schweiz wolle kein Rahmenabkommen, sei schlicht falsch. Dies belege die neueste SRG Umfrage. Die SP wiederum sei von den Gewerkschaften in «Geiselhaft» genommen worden und verleugne sich selbst.

Portman betonte, dass der EU-Marktzugang direkt mit dem Wohlstand in der Schweiz zusammenhänge. Kein Abkommen werde aber der Prüfung standhalten, falls Eigenständigkeit und demokratische Prozesse der Schweiz in Frage gestellt seien. Niemand könne allerdings die Realität ausblenden, dass die EU andere Regeln habe als in der Schweiz.

Grüne: Bundesrat muss endlich Klarheit schaffen

«Wir wissen bis heute nicht genau, was Sache ist», warf die Grüne Sibel Arslan der Landesregierung vor. Der Bundesrat habe vielmehr den Kompass in den letzten Monaten immer wieder neu justiert. Nun müsse rasch Klarheit über Inhalt und Zeitplan eines Rahmenabkommens geschaffen werden. Die Grünen unterstützten den bilateralen Weg und wollten diesen erhalten und stärken, allerdings nur zu fairen Konditionen für beide Seiten.

CVP: Der Preis von «take it or leave it»

In vielen Bereichen lägen nun offenbar befriedigende Lösungsvorschläge vor, stellte Elisabeth Schneider-Schneiter für die CVP fest. Dies gelte nicht beim Schutz des Arbeitsmarktes, wobei das auch an der ungeschickten Kommunikation des Bundesrats mit den Sozialpartnern liege. Ungeachtet dessen sei von Sistierungsforderungen abzusehen, bis der Bundesrat seine Vorschläge vorgelegt habe. Dann müsse eine Gesamtbeurteilung erfolgen. Das Parlament werde über die Vorschläge beraten können. Dann heisse es «take it or leave it», wobei jeder Weg einen anderen Preis haben werde.

Grünliberale: Chancen-Diskurs statt Denkverbote

Für die Grünliberale Tiana Angelina Moser steht die Beziehung der Schweiz zu Europa an einem Scheideweg. Gegner, Zögerer, Zauderer, Angstmacher und Isolationisten hätten den ganzen Sommer hindurch Angst verbreitet. Nun brauche es endlich einen «Chancen-Diskus». Der Erfolg der Schweiz basiere wesentlich auf den wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa. Die GLP sei überzeugt, dass es ein Rahmenabkommen brauche. Das Resultat werde nicht besser, wenn die Verhandlungen nun weiter verschleppt würden. Denkverbote aus ideologischen Gründen – auch jene der Gewerkschaften – seien abzulehnen. Die Schweiz werde auch künftig im Rahmen ihrer Institutionen entscheiden können.

SVP: Stimmrecht in Brüssel abgeben

«Wir können bei einer Unterzeichnung des Rahmenvertrags das Stimmrecht in Brüssel abgeben», warnte SVP-Parteipräsident Albert Rösti, dessen Fraktion die Verhandlungen umgehend abbrechen möchte. Denn der Rahmenvertrag sei nichts anderes als «die Anbindung der Schweiz an die EU». Es sei geradezu Ironie des Schicksals, dass ein solcher Rahmenvertrag ausgerechnet die grössten EU-Befürworter treffe, sagte Rösti an die Adresse von SP und Gewerkschaften. Es gehe aber längst nicht nur um die flankierenden Massnahmen. Es gehe vielmehr um die automatische Übername von EU-Recht.

BDP: Königsweg statt bilaterale Eiszeit

«In Brüssel dürfte man sich inzwischen die Augen reiben, was aus der ehemals so geschickten und schlauen Schweiz geworden ist», stellte BDP-Präsident Martin Landolt fest. Dabei gehe es mit den Bilateralen um die zentralste politische Herausforderung des Landes. Es sei das Konzept der Beziehung zu Europa, das auch der Bundesrat als Königsweg bestätigt habe. Doch zurzeit trauten sich die Verantwortlichen nicht mehr über den Weg, obwohl an sich Regierung wie Gewerkschaften den Lohnschutz gleichermassen wollten. «Doch sie haben des Kunststück geschafft, aneinander vorbeizureden, und das erst nöch öffentlich.»

SP: Wild entschlossen für guten Lohnschutz

«Wir sind wild entschlossen, den Lohnschutz in einem Rahmenabkommen zu verteidigen», erklärte Roger Nordmann für die SP. Es gebe keinen Grund, den selbständigen Lohnschutz zugunsten von Lohndumping zu schwächen. Bei einer schlechten Verhandlungslösung werde das Volk das letzte Wort haben.

Nordmann zeigte sich überzeugt, dass auch die EU ein Interesse an einem Rahmenabkommen habe und noch Zugeständnisse machen werde. «Wir müssen aufhören, die EU systematisch schlecht zu reden, denn die Europäer tolerierten den spöttischen und negativen Kurs nicht mehr, der nur die Beziehungen vergifte.

Bundesrat Cassis: Niemand zwingt die Schweiz

Aussenminister Ignazio Cassis machte deutlich, dass der Dialog mit der EU im Laufe der gewachsenen EU schwieriger geworden sei. Das Verständnis für die Schweiz sei schwächer geworden, weil die EU heterogener geworden sei. Mit dem Rahmenabkommen solle nun der bilaterale Weg konsolidiert und weiterentwickelt werden. «Niemand zwingt die Schweiz zu einem institutionellen Rahmenabkommen. Wir machen es nur, wenn es qualitativ hochwertig genug ist. So hält es auch die EU. Beide Teile wollen zufrieden sein.» Beide Wege hätten ihren Preis. «Wieviel sind wir für den Marktzugang bereit zu zahlen, fragte Cassis.

Und die roten Linien?

«Warum stellen Sie in den Verhandlungen die flankierenden Massnahmen zur Diskussion, obwohl sie die rote Linie gezogen haben», fragte Corrado Pardini (SP) den Aussenminister. Dieser sprach von einer «Unterstellung». Es sei lediglich festgestellt worden, dass man sich über die Lohnschutz-Mechanismen Gedanken machen müsse, falls diese zur letzten Hürde für ein Abkommen würden. Die roten Linien gälten weiterhin.

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