Lange hat sie gezögert, jetzt macht sie Nägel mit Köpfen. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz hat einen neuen Vorschlag, wie die sexualisierte Gewalt in ihren Reihen aufgearbeitet werden soll. Bereits im November soll das Kirchenparlament entscheiden.
Die Evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz EKS steht unter Druck. Vor einem Jahr hat das Kirchenparlament Nein gesagt zu einer Studie, die den sexuellen Missbrauch nicht nur im kirchlichen Kontext, sondern in der Gesamtgesellschaft hätte untersuchen sollen. Ein Nein, das dem Ruf der Kirche geschadet hat.
Wir wollen die Erfahrungen von Betroffenen sichtbar machen und strukturelle Schwachstellen erkennen.
Gleichzeitig mit dem Nein hatte der Rat der EKS den Auftrag erhalten, einen neuen Vorschlag für eine Studie auszuarbeiten. Dieser liegt nun vor, wie SRF Investigativ erfahren hat.
Legende:
Die Erfahrungen Betroffener sollen sichtbar gemacht werden.
Symbolbild/Keystone/Christian Beutler
Das Ziel der neuen Studie sei eine unabhängige Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt – im Kontext der evangelisch-reformierten Kirche, sagt EKS-Präsidentin Rita Famos. «Wir wollen die Erfahrungen von Betroffenen sichtbar machen und strukturelle Schwachstellen erkennen», so Famos. Wichtig sei auch, dass bisherige Aufarbeitungsprozesse evaluiert würden.
Resultate Ende 2027 erwartet
Das Studiendesign entstand in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Betroffenenorganisationen. Letztere pochten darauf, dass die Studie eben auf die reformierte Kirche fokussiert. Gerade auch die Betroffenen würden das erwarten, denn es sei auch eine Form der Anerkennung, wenn hingeschaut werde, so Famos.
So soll die Studie etwa die Strukturen der Kirche unter die Lupe nehmen oder abklären, wie spiritueller und sexueller Missbrauch zusammenspielen. Der Rat erhofft sich zudem Erkenntnisse für die Prävention und Intervention.
Die Studie soll maximal 250'000 Franken kosten. Und der Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz drückt aufs Gas: Bis nächsten Sommer soll der Auftrag vergeben sein. Die Resultate sollen Ende 2027 vorliegen.
Fragen an Religionsredaktorin Nicole Freudiger
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SRF News: Die reformierte Kirche will nun also vorwärtsmachen. Die römisch-katholische Kirche ist da schon viel weiter. Warum hat das so lange gedauert bei den Reformierten?
Nicole Freudiger: Lange fehlte bei den Reformierten das Problembewusstsein. Sexualisierte Gewalt in der Kirche wurde primär als Problem der römisch-katholischen Kirche angeschaut. Mit der Pilotstudie bei den Katholiken änderte sich das. Und spätestens mit einer Studie aus Deutschland, die die evangelische Kirche untersuchte. Seither ist der Evangelisch-reformierten Kirche bewusst: Das geht auch uns an. Und wir müssen das anschauen.
Was könnte bei der neuen Studie herauskommen?
Die Studie in Deutschland hat gezeigt, dass man auch bei der evangelischen Kirche mit vielen Fällen rechnen muss. Mehr als ursprünglich gedacht. Und dass die sexualisierte Gewalt mit den Kirchenstrukturen zu tun hat: etwa mit der Rolle des Pfarrers als Autoritätsperson, aber zum Beispiel auch mit einer gewissen Harmoniebedürftigkeit und der mangelnden Bereitschaft, Konflikte auszutragen. Das hat lange verhindert, dass man Probleme anspricht bzw. Täter zur Rechenschaft zieht. Das eben die Resultate für Deutschland. In der Schweiz ist mit ähnlichen Erkenntnissen zu rechnen.
Das Gespräch führte Silvia Staub.
SRF Investigativ
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