Als das Kaffeehaus Starbucks Anfang August einen neuen Sommerdrink lancierte, setzte es nicht nur auf gängige Werbewege. Es schloss einen Deal mit ein paar der bekanntesten Influencer ab – Instagram-Nutzer mit einer grossen Reichweite. Diese posteten auf ihren Profilen Bilder der caramelfarbenen Becher und versahen ihn mit dem Hashtag #PopcornFrappuccino. Und es funktionierte. Danach poppten täglich Bilder von gewöhnlichen Nutzern mit ähnlichen Posts auf. Starbucks erreichte alleine via fünf Schweizer Influencer über eine Million potenzielle Kunden.
Influencer können einer Kampagne Schub verleihen – und der Werbung eine neue Form von Authentizität verleihen. Ein Produkt wird zum Lifestyle, oft ohne dass es als Werbung deklariert wird. Während sogenanntes «Product Placement» in Film und Fernsehen oft umstritten ist, scheint es bei Influencern kein Problem zu sein. Starbucks ist eine der grössten Firmen, die auf Influencer setzt. Doch es sind viele, und es werden mehr – gerade aus dem Bereich Lifestyle und Luxusprodukte wie Kosmetik, Uhren oder Accessoires. Dinge im Wert von oft mehreren Hundert Franken, welche die Influencer als Dank behalten können und für deren Produktplatzierung sie teilweise zusätzlich bezahlt werden – bis zu 5000 Franken pro Produkt. Kein Wunder ist Influencer für viele Junge zum Traumjob geworden.
Fast jeder dritte Follower ein Fake
Zum Beispiel Sindi Arifi ( @sindiarifi ). Die 19-jährige Bloggerin und Ex-Miss-Schweiz-Kandidatin aus der Romandie hat heute rund 82’000 Abonnenten auf Instagram. Wer durch ihr Profil scrollt, wähnt sich in einem Modemagazin – mit Arifi als Model und jeder Menge angepriesenen Produkten. Von den letzten zwanzig geposteten Bildern wird in den meisten eine Marke erwähnt: Schmuck von Bucherer, Kleidung von Intimissimi, Make-Up von Dior und Lancôme, Brenners Park Hotel, Kleider von Guerlain. Für Arifi wohl ein lohnendes Geschäft.
Bloss: Ist es das auch für ihre Werbekunden? Gemäss einer Analyse von SRF Data sind von Sindi Arifis Followern zwischen 41 und 48 Prozent falsch, sprich: keine echten Menschen, oder zumindest keine, die Arifi aus Eigenantrieb folgen. Arifis Einfluss in reinen Zahlen ist also deutlich kleiner, als im ersten Moment ersichtlich ist. Alle Influencer haben eine gewisse Anzahl an «Fake Followern» – wer bereits viele Follower hat, zieht solche offenbar an – aber alles über 30 Prozent ist überdurchschnittlich viel, wie die Analyse zeigt. Gegenüber SRF sagt Arifi: «Ich weiss nicht, woher diese Fake Follower kommen. Ich finde es sehr wichtig, dass man ehrlich zu sich selbst ist. Wenn man mit Herzblut bei der Sache ist, dann erlangt man damit auch die Aufmerksamkeit der Leute. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen.»
Und Sindi Arifi ist kein Einzelfall. SRF hat die Follower von 115 Schweizer Influencern untersucht, insgesamt sieben Millionen Profile. Rund 20 Influencer davon haben Fake Follower im Bereich von über 50 Prozent. Dies zeigt sich deutlich im Verhältnis zu den tatsächlichen Followern: Während sich klassische Influencer im Feld zwischen null und 20 Prozent bewegen, heben sich einzelne deutlich ab. Es besteht ein eigentlicher Graben zwischen auffälligen Influencern (rot) und unauffälligen Influencern (blau).
Woher die Fake Follower kommen, lässt sich mit der Auswertung nicht belegen. Die Analyse zeigt aber: Der Kampf um Reichweite unter Followern ist hart – und nicht alle scheinen ein natürliches Follower-Wachstum zu haben. Möglicherweise setzen gewisse Profile einen «Fake Follower»-Boost ein, um ihre Followerzahl in ein kritisches Level zu heben und sich als Influencer zu etablieren. Follower lassen sich über diverse Anbieter im Netz kaufen – tausend davon gibt es bereits für weniger als zehn Franken. Auch folgen vielen Influencern sogenannte «Social Bots» und «Spam Bots», welche die Aktionen realer Menschen imitieren, aber zum Beispiel nur Werbung verbreiten. Gegen diese lässt sich nur wenig tun.
Experten und etablierte Influencer warnen vor dem Problem. Die Schauspielerin und Influencerin Zoë Pastelle ( @zoepastelle , 20 bis 26 Prozent Fake Follower) sagt: «Dass sich unter meinen Followern ‹Fake Follower›, sprich inaktive Profile befinden, ist mir bewusst und unumgänglich. Auf Instagram kann grundsätzlich jeder jedem folgen, zudem gibt es keine Limitierung an Konten. Alle Personen mit einer gewissen Reichweite haben mit diesem Problem zu kämpfen.» Und die Influencerin Sylwina ( @_sylwina_ ), die selbst 39 bis 45 Prozent falsche Follower aufweist, schreibt: «Ich bin seit vielen Jahren aktiv auf Instagram. Die Tatsache, dass sich in dieser Zeit unter diese unüberschaubare Anzahl Follower auch ‹Ghost› Profile mischen, kann ich nicht vermeiden. Für mich ist einzig und allein die Grösse meiner Community in der Schweiz ausschlaggebend.» Sie fordert von Instagram, dass das Unternehmen die Hürde zur Eröffnung eines Accounts erhöht und alle Profile verifiziert. «Dies wäre im Interesse aller Beteiligten», schreibt sie.
Glaubwürdigkeit zählt mehr als Reichweite
Der Social-Media-Experte Manuel Nappo sagt: «Fake Follower haben zwei Auswirkungen. Einerseits sind sie schädlich für Marken, weil sie das Gefühl haben, eine gewisse Reichweite und ein gewisses Engagement zu kaufen, was sie nicht bekommen. Aber sie sind auch für die Influencer schädlich. Viele Fake Follower machen die Glaubwürdigkeit kaputt. Und sie schaden dem Engagement der realen Follower.» Er betont aber, dass sich die Glaubwürdigkeit eines Influencers für den Konsumenten aus mehr zusammensetze als nur Reichweite: «Der Nutzer entscheidet nicht aufgrund von Followern, sondern aufgrund der Qualität des Inhalts, ob ein Influencer glaubwürdig wirkt.»
Nappo geht davon aus, dass alle Akteure Wege suchen werden, um das Problem zu lösen: «Indem die Marken andere Messgrössen suchen als die Reichweite. Und dass Influencer beginnen, ihre Accounts zu bereinigen und zum Beispiel eine Zertifizierung ausweisen. Das steigert auch die Glaubwürdigkeit.»
Inzwischen gibt es verschiedene Agenturen, die eigene Analysen zur Follower-Qualität von Influencern machen. Auch werden besondere Metriken verwendet, um das Problem einzudämmen: Indem etwa nur der Anteil von Schweizer Followern ausgewiesen wird. Wie gut das funktioniert, lässt sich von aussen allerdings nicht überprüfen. Wie Instagram einen Account einem Land zuordnet, legt die Plattform nicht offen. Dass es erfolgreiche Influencer gibt, die einen hohen Fake-Follower-Anteil haben, ist zumindest ein Hinweis darauf, dass die Szene das Problem noch nicht im Griff hat. Ob das für Firmen wie Starbucks ein Problem ist, wissen wir nicht: Wie viele Influencer haben auch sie kein Statement abgegeben.