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Fall Ousman Sonko Historischer Strafprozess: Opfer kritisieren Bundesstrafgericht

Am Montag beginnt in Bellinzona ein aufsehenerregender Prozess: Ousman Sonko, Ex-Innenminister von Gambia, muss sich wegen schwerster Menschenrechtsverbrechen verantworten. Recherchen von SRF Investigativ zeigen: Das Gericht macht es den Opfern nicht einfach, den Prozess zu verfolgen.

Fatou Camara leidet bis heute unter den Folgen der Folterungen: «Sehen Sie meine Hand?», sagt die Gambierin. «Bis heute kann ich nichts Schweres halten.»

Camara hat sich jahrelang für ein demokratisches Gambia eingesetzt. Sie wagte sich auch 2016 noch an Demonstrationen, als schon mancher im autokratisch regierten Land politisch verstummt war. Dafür wurde sie vom Regime verhaftet und gefoltert.

Gambias jahrzentelange Diktatur

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Er werde eine Milliarde Jahre regieren, wenn es Gott gefalle, sagte Yahya Jammeh einst. Schlussendlich wurden es über 20 Jahre, in denen der Autokrat Gambia mit eiserner Hand führte. An seiner Seite über viele Jahre: Ousman Sonko, als Innenminister verantwortlich für Polizei und Gefängnisse. Als 2017 der Druck zu gross wurde, setzte sich Jammeh ins Exil nach Äquatorialguinea ab.

Eine Wahrheitskommission in Gambia hat sich seither mit der Aufarbeitung der autokratischen Zeit befasst und bezichtigt Jammeh und seine Regierung schwerer Menschenrechtsverletzungen wie Mord, Vergewaltigung und Folter. Die Sicherheitskräfte hätten unter Jammeh eine Atmosphäre der Angst geschaffen und kritische Stimmen systematisch eingeschüchtert.

Drei Bundesstrafrichter werden in Bellinzona in den kommenden Wochen zu entscheiden haben, ob der frühere Innenminister Ousman Sonko für die Folterungen und andere Verbrechen während der Diktatur mitverantwortlich ist.

Anspruchsvolle Reise nach Bellinzona

In diesem Prozess ist Fatou Camara eine von zehn Privatklägerinnen und -klägern. Sie wird dafür von Gambia nach Bellinzona reisen und vor dem Gericht aussagen. Doch die Reise ist für die ältere Frau und die anderen Privatkläger nicht nur logistisch anspruchsvoll, sondern auch finanziell.

Fatou Camara in ihrem Haus, nahe der gambischen Hauptstadt Banjul
Legende: Wird am Prozess in Bellinzona aussagen: die Privatklägerin Fatou Camara in ihrem Haus in Gambia, im Dezember 2023. SRF

Denn das Schweizer Gericht übernimmt nur einen Teil der Kosten: So wird den Opfern der Aufenthalt nur für jene Tage bezahlt, an denen sie selbst aussagen müssen. Mindestens einer Privatklägerin wird gar nichts vergütet, weil das Gericht auf ihre Einvernahme verzichtet.

«Viele haben nicht die finanziellen Mittel»

Anwältin Fanny De Weck vertritt zwei Opfer im Prozess und sagt, viele der Privatklägerinnen hätten nicht das Geld, um selbst an dem mehrwöchigen Verfahren in der Schweiz teilzunehmen. «Damit werden die Teilnahmerechte unserer Mandanten aus unserer Sicht de facto beschränkt und das empfinden wir als sehr problematisch», so de Weck.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona
Legende: Hier wird der Fall ab Montag, 8.1.2024 verhandelt: das Bundesstrafgericht in Bellinzona. Keystone SDA

Das Bundesstrafgericht hält auf Anfrage von SRF Investigativ entgegen, man habe die Reisevorbereitungen der Privatklägerinnen «massgeblich unterstützt» und übernehme sämtliche Kosten, die mit den Einvernahmen zusammenhingen. Etwa Visagebühren, Flüge, Aufenthalte und allfällige Erwerbsausfälle.

Verfahrenssprache: unverständlich

Anwältin De Weck verweist auf einen weiteren Punkt, der die Zugänglichkeit zum Verfahren einschränke. So wird der Prozess gegen Sonko auf Deutsch geführt. Nur einzelne Abschnitte werden auf Englisch übersetzt.

In mehrfacher Hinsicht «historischer Prozess»

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Das Gerichtsverfahren gegen Ousman Sonko ist gleich mehrfach aussergewöhnlich: Es erfolgt nach Weltrechtsprinzip, das heisst, die Schweiz führt diesen Prozess durch, obwohl die mutmasslichen Straftaten in Gambia begangen wurden. Das ist möglich, wenn die Vorwürfe besonders schwer wiegen. Und: Sonko wurde in der Schweiz verhaftet – er war zum Ende der Diktatur nach Europa geflüchtet und wurde in einem Schweizer Asylzentrum entdeckt.

Dazu kommt: Ousman Sonko ist als ehemaliger Innenminister die höchstrangige Person, die je in Europa nach Weltrechtsprinzip vor Gericht gestanden hat. Die Untersuchung war denn auch aufwändig: Sechs Jahre lang ermittelte die Bundesanwaltschaft, die Verfahrensleitung reiste sechsmal nach Gambia. Allein bis zur Anklageerhebung im April 2023 summierten sich die Verfahrenskosten auf rund 2.8 Millionen Franken. Dazu kommen mehrere Hunderttausend Franken für die Verteidigung des Angeklagten.

Auch für gambische Journalistinnen und Journalisten dürfte es dadurch schwierig werden, der Verhandlung zu folgen.

Gericht verweist auf Gesetz

Das Bundesstrafgericht schreibt auf Anfrage: «Die Strafkammer behält sich vor, wesentliche Verfahrensschritte und Abläufe der Hauptverhandlung auf Englisch verdolmetschen zu lassen, sodass die im Gerichtssaal anwesenden Personen dem Gang der Verhandlung folgen können.»

Die Privatklägerschaft hat jedoch die Möglichkeit, auf eigene Kosten daran teilzunehmen. Insofern ist deren Recht, der Hauptverhandlung beizuwohnen, gewährleistet
Autor: Stellungnahme des Bundesstrafgerichts

Für eine vollständige Übersetzung sämtlicher Verfahrenshandlungen fehle aber eine gesetzliche Grundlage. Gleiches gelte für eine Teilnahme der Opfer an der gesamten Hauptverhandlung. «Die Privatklägerschaft hat jedoch die Möglichkeit, auf eigene Kosten daran teilzunehmen. Insofern ist deren Recht, der Hauptverhandlung beizuwohnen, gewährleistet», schreibt das Generalsekretariat.

Für Folteropfer Fatou Camara ist das Verfahren in der Schweiz bedeutend. Für sie sei es wichtig, in Bellinzona vor Ort sein zu können: «Weil wir diesen Kampf geführt haben.»

Echo der Zeit, 04.01.2024, 18 Uhr

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