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Katastrophe im Lötschental Was wohl zum Bergsturz geführt hat

Der Bergsturz in Blatten ist ein Ereignis, das es so noch nie gegeben hat in der Schweiz. Das bestätigen ein Glaziologe und ein Geologe.

Eine beinahe unvorstellbare Masse an Stein, Eis, Schlamm und Wasser begrub am Mittwoch das Dorf Blatten und den Weiler Ried unter sich. Die Experten sprechen von drei Millionen Kubikmeter an Geröll, die vom Kleinen Nesthorn über den Birchgletscher ins Lötschental donnerten. Was ist da passiert – und wo liegen die Gründe?

Satellitenbild mit markiertem verschüttetem Gebiet bei Blatten.
Legende: SRF

Hans Rudolf Keusen ist ein gefragter Experte, wenn es ums Einschätzen von Naturgefahren in den Bergen geht. Der 84-jährige Geologe erklärt, was in den letzten Tagen ob Blatten passiert ist: «Im Prinzip ist es ein Gletschersturz, der durch eine gewaltige Last von Bergsturz vom Kleinen Nesthorn verursacht worden ist. Dieses Felsmaterial hat auf den Gletscher gedrückt und ihn aus dem Gleichgewicht gebracht.»

Die Kombination aus Eis- und Steinsturz in Blatten ist in dieser Form einzigartig.
Autor: Hans Rudolf Keusen Experte für Naturgefahren in den Bergen

Das habe es so noch nie gegeben in der Schweiz, so der Geologe. «Es gibt historische Bergstürze in der Schweiz, die ganze Dörfer verschüttet haben wie Goldau oder Elm, die ähnlich sind. Doch die Kombination aus Eis- und Steinsturz in Blatten ist in dieser Form einzigartig.»

Felssturz in Blatten weckt Erinnerungen an Randa 1991

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Bei Keusen werden Erinnerungen wach. An Randa im Wallis im Jahr 1991, unterhalb von Zermatt. Dort hat sein Interesse für die bröckelnde Bergwelt begonnen. Er hat damals vor einem Felssturz gewarnt, hat mitgeholfen, die Siedlungen unten im Tal zu evakuieren. Einige Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner waren skeptisch – Hansruedi Keusen hatte aber recht. Der Berg kam, rutschte ins Tal. «Vom Prozess her war der Felssturz in Randa ganz etwas anderes. Da waren es zwar am Ende 30 Millionen Kubikmeter Gestein. Doch es war eine reine Gesteinsmasse, die in kleinen Teilabstürzen herunterkam.»

Randa 1991 war die Geburtsstunde der Gefahrenprävention in den Schweizer Bergen. Gefahrenkarten wurden eingeführt. Technische Messgeräte wie Bewegungsmelder wurden installiert. Die Bewegungen in der Schweizer Bergwelt wurden von da an dauernd beobachtet, vermessen, und bei Gefahr wurde Alarm ausgelöst.

Fast zwei Generationen jünger als Hans Rudolf Keusen ist Matthias Huss, Professor für Glaziologie an der ETH Zürich. Er verweist ebenso auf die Einzigartigkeit des Absturzes in Blatten, ausgelöst durch den Abbruch vom Berg auf den Gletscher. Huss sagt, das geschmolzene Eis habe eine entscheidende Rolle gespielt.

Der Berg- und Gletscherabbruch in Blatten im Lötschental

«Sobald Eis dabei ist, ist sehr viel Wasser dabei. Wasser ist wie ein Schmiermittel. Es liegt zwischen den Geröllbruchstücken, und mit diesem enormen Druck, der während einem Sturzereignis aufgebaut wird, entwickelt sich dann diese gewaltige Dynamik, die man auf den Videos eindrücklich erkennen kann.» Das Wasser zusammen mit dem Geröll bildete somit eine wabbelige Masse, die weit rutschte und sich in die Breite ausdehnen konnte und alles unter sich begrub.

Die Rolle des Klimawandels

Wasser, geschmolzenes Eis, auftauender Permafrost: Trägt der Klimawandel die Verantwortung? Huss ist vorsichtig, den Klimawandel als eindeutigen Täter zu benennen. «Man kann sicher nicht direkt sagen, der Klimawandel ist verantwortlich dafür, dass dieses Ereignis jetzt passiert ist. Es ist bestechend, dass wir in den letzten Jahren in den Alpen immer wieder solche grossen Kollaps-Ereignisse von Gipfeln hatten. Ich denke da etwa an den Piz Cengalo oder an den Piz Scerscen im Engadin im letzten Jahr.» Ein Muster gibt es. Zumindest der Verdacht auf Beihilfe besteht also.

Ich sehe eine Zukunft für ein neues Blatten.
Autor: Hans Rudolf Keusen Experte für Naturgefahren in den Bergen

Für beide Experten ist klar, dass in den nächsten Tagen abgeklärt werden muss, ob noch mehr Felsabstürze drohen. Auch der sich stauende Fluss Lonza vor dem Schuttkegel könnte zu einer grösseren Folgegefahr werden, Murgänge und Sturzfluten drohen. Sind diese Risiken einmal gebannt, kann die Bevölkerung zurückkehren und das Dorf wieder aufbauen.

Hans Rudolf Keusen ist zuversichtlich: «Es ist vergleichbar mit den Erdbebenstädten, die ausgelöscht wurden und wieder aufgebaut worden sind. Das Leben ist weitergegangen für Generationen. Der Mensch glaubt an eine bessere Zukunft, und daher sehe ich auch eine Zukunft für ein neues Blatten.»

Glückskette sammelt für Blatten

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QR-Code

Die Glückskette hat eine Sammelaktion gestartet für die Betroffenen im Lötschental. Spenden kann man unter anderem via QR-Code sowie auf der Website der Glückskette.

Echo der Zeit, 29.05.2025, 18:00 Uhr

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