- In gut zwei Wochen können die Schweizer Stimmberechtigten darüber abstimmen, ob der Bund für weiter 15 Jahre Bundes- und Mehrwertsteuern erheben darf.
- Ohne diese Kompetenz würde der Bund auf einen Schlag zwei Drittel seines Budgets verlieren.
- In keinem anderen Land kann das Volk so grossen Einfluss auf die Steuern nehmen.
- Volkwirtschaftsprofessor Reto Föllmi erklärt die Besonderheiten des Schweizer Steuersystems.
Alle paar Jahre kann das Schweizer Stimmvolk neu entscheiden: Wollen wir dem Bund weiterhin Steuern zahlen? Eine staatspolitische Grundsatz-Frage und eine Frage, die Menschen kaum sonst wo auf der Welt so verbindlich beantworten können, sagt Reto Föllmi, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität St. Gallen: «Das ist einzigartig in den Industrieländern. Ich kenne kein anderes Land, in dem die zentralen Steuereinnahmen des Bundes sowohl begrenzt als auch in ihrer Höhe beschränkt sind.»
So schreibt die Bundesverfassung bei der Mehrwertsteuer einen Maximalsatz vor. Überdies darf der Bund die direkte Bundes- wie auch die Mehrwertsteuer nur bis Ende 2020 einziehen. Auch diese Grenze setzt die Bundesverfassung.
Diese Einzigartigkeit, so Föllmi, wurzle in einer anderen Schweizer Besonderheit, nämlich im weitreichenden Mitspracherecht der Stimmbevölkerung. Seit jeher gilt: Bevor der Bund Steuern einziehen darf, muss er das Volk fragen.
Direkte Demokratie auch in Steuerfragen
Das politische System der Schweiz habe die Tradition der direkten Mitbestimmung des Volkes durch die demokratischen Instrumente, erläutert Föllmi: «Ich erinnere daran, dass die Bundes- und Mehrwertsteuer nur in Krisenzeiten – im Zweiten Weltkrieg – eingeführt wurden.»
In einem System, in dem das Volk nicht direkt gefragt wird, haben Politiker etwas böse gesagt den Anreiz, Verbrauchssteuern einzuführen.
Rechnet man heute die gesamten Steuereinnahmen des Staates zusammen – also von Bund, Kantonen und Gemeinden -, dann fällt eines auf: Das starke Gewicht von Kantonen und Gemeinden. Auch das ist eine Schweizer Besonderheit. Kantone und Gemeinden sichern sich im internationalen Vergleich ein relativ grosses Stück vom ganzen Steuerkuchen. Die unteren Staatsebenen haben damit vergleichsweise grosse Finanzkompetenzen.
Und das wiederum ermöglicht einen Steuerwettbewerb unter den Kantonen. Gebremst wird er ein Stück weit durch den Finanzausgleich zwischen den Kantonen – und: durch die direkte Bundessteuer. Denn Vielverdiener werden beim Bund deutlich stärker belastet als bei den Kantonen.
Beim Bund, so Föllmi, steige der Steuersatz von Geringverdienern zu Personen mit hohen Einkommen sogar geradezu einzigartig steil an: «Die direkte Bundessteuer ist viel progressiver als die kantonale Steuerentrichtung; sie ist wohl sogar progressivste Steuer aller Industriestaaten. Sie wirkt quasi als Korrektiv zum kantonalen Steuerwettbewerb, der sich dadurch trotzdem entfalten kann.»
Mehrwertsteuer tut «weniger weh»
Wie weit sich dieser Steuerwettbewerb entfalten soll, ist politisch allerdings umstritten. Föllmi richtet seinen Fokus weiter auf die vergleichsweise tiefe Mehrwertsteuer. Auch dies wurzle im Mitspracherecht der Schweizer: «In einem System, in dem das Volk nicht direkt gefragt wird, haben Politiker etwas böse gesagt den Anreiz, Verbrauchssteuern einzuführen. Denn die Steuer stösst auf wenig Widerstand – man merkt sie nicht so stark.» So tun 40 Rappen Mehrwertsteuer auf einen Kaffee weniger weh als Tausende Franken Einkommensteuer auf einen Schlag.
In der Schweiz sind viele Steuerarten gleichzeitig in Betrieb: Wir sind wie in Investor, der nicht auf eine Aktie, sondern auf ein breites Portfolio setzt.
Die tiefe Mehrwertsteuer, die wichtige Rolle von Kantonen und Gemeinden, die starke Progression beim Bund und die ständige Mitsprache des Volks: Alle diese Elemente machten die Schweiz ein Stück weit zum internationalen Steuerexoten – was sich durchaus bewährt habe, so Föllmi.
Denn die Vielfalt der Steuerarten in der Schweiz sei durchaus eine Stärke, die in Zukunft möglicherweise noch wichtiger werde: «Durch neue Wirtschaftssektoren, durch die Digitalisierung kann es sein, dass eine Steuerart in Zukunft besser funktioniert als eine andere. In der Schweiz sind bereits viele Steuerarten gleichzeitig in Betrieb: Wir sind wie in Investor, der nicht auf eine Aktie, sondern auf ein breites Portfolio setzt.» Typischerweise habe man damit einen besseren Ertrag und weniger Risiko.
Zuerst aber ist wieder das Volk gefragt: Am 4. März beantwortet es einmal mehr die Steuergrundsatzfrage und entscheidet damit über gut 43 Milliarden Franken Bundes- und Mehrwertsteuer. Den letzten Umfragen zufolge beantwortet es die Frage einmal mehr mit Ja: Bei fast 70 Prozent lag die Zustimmungsrate vor vier Wochen in der ersten SRG-Umfrage.