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Fleischfachhandel im Wandel Generationenwechsel beim letzten Metzger im Quartier

Nach 120 Jahren sah es nach dem Ende einer Ära aus. Die Geschichte einer etwas ungewöhnlichen Geschäftsübergabe in Bern.

Metzger Schori und die Hipster

Rina Schori ist eine Legende im Breitenrainquartier: 85 Jahre alt, feingliedrig, mit Brille und schwarzem Haar. «Ich bin vor 62 Jahren in diese Metzgerei gekommen. Das war noch der ganz alte Laden», erzählt sie. «Wir hatten zwei Buffets. Sie waren nicht gekühlt. 1964 haben wir das Geschäft übernommen und haben 1968 den Laden umgebaut.» Wir, das waren ihr Mann und sie.

Sie sitzt mit ihrem Sohn Markus vor dem Haus Nummer 38 am Breitenrainplatz. 1906 wurde es gebaut. Im Erdgeschoss die Metzgerei, darüber die Wohnung. Markus ist der letzte Schori-Metzger, die vierte Generation. Zustände seien das früher gewesen, erinnert er sich: «Ich weiss noch, dass der Grossvater das Fleisch mit dem Seitenwagen im Schlachthaus abholte. Später hatten sie einen Topolino, bei dem die Schweine oben rausschauten, weil sie drinnen keinen Platz hatten.»

Geschlachtet wurde im Schlachthaus

In ihrer eigenen Metzgerei durften Schoris nicht schlachten. Der Grossvater und der Urgrossvater holten die Tiere beim Bauern und «metzgeten» sie im Schlachthof. «Dann kamen die Rinderhälften, und wir haben sie im Schaufenster an die Stange gehängt.» Ungekühlt, wie es früher üblich war.

Und wie es heute nicht mehr möglich ist. Markus Schori und seine Mutter Rina haben die Metzgerei nun aufgegeben. Nicht weil das Geschäft nicht rentiert hätte, sagt Markus. Sondern weil die Kühlanlagen alt seien, und neue gegen 100'000 Franken kosten würden. Eine solche Summe stemme er nicht.

Es sind neue Zeiten. Dinge verändern sich, das Metzgerbusiness auch. Da muss man mitgehen und Neues ausprobieren.
Autor: Vinzenz Gurtner Nachfolger

Nicht mit 60 Jahren und ohne Nachkommen, sagt er. «Wir waren die Letzten im Breitenrain- und Lorrainequartier. Mein Grossvater sagte immer, in den beiden Quartieren habe es 27 Metzgereien gegeben. Das heisst, 27 Familien haben davon gelebt. Wir waren nun einfach die ‹Letzten› in Anführungszeichen, es machen ja welche weiter. Aber es fand schon ein extremer Wandel statt.»

Dieser «Wandel» steigt von einem gelben Velo. Vinzenz Gurtner ist jung und tätowiert. «Es sind neue Zeiten. Dinge verändern sich, das Metzgerbusiness auch. Da muss man mitgehen und Neues ausprobieren.» Neu ist, dass auf dem Schaufenster ein grosses «B» für «La Boulotte» – die Pummelige – klebt.

Gurtner gehört zu den vier Jungbauern und Viehzüchtern, welche die Metzgerei Schori nun gemietet haben. Bis zur Eröffnung Ende Mai seien noch Arbeiten im Laden und hinten bei der Produktion zu leisten. Aber dann liege ihr Fleisch zum Verkauf parat. Fleisch vom eigenen Charolais-Rind. Über ihren Bauernhof hätten sie zur Metzgerei gefunden, erzählt Gurtner.

«Wir haben Tiere auf unserem Hof. Dort zeichnet sich ein Generationenwechsel ab. Damit kommt neuer Schwung in alles rein. Da haben wir überlegt, was machen wir mit dem Fleisch? Wie können wir das selbst vermarkten?» Per Zufall seien sie an dieses Geschäft geraten. «Wir waren ganz naiv und haben gefragt: ‹Können wir rein?› Nicht ganz mit diesen Worten, aber ungefähr so.»

Gleiches Gewerbe, anderes Konzept

Da sind sie nun und reihen sich in die über 100 Jahre alte Schori-Metzgerei-Geschichte ein. Sie erhalten das Gewerbe und verändern es gleichzeitig total. «La Boulotte» hat wenig mit der alten «Metzg» gemeinsam: Sie verkaufen Bio-Fleisch. Vom eigenen Tier und möglichst alles, von Kopf bis Fuss.

«Wichtig, wie sich der Metzger positioniert»

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Ruedi Hadorn, Direktor des Schweizer Fleischfachverbands (SFF), hält das Beispiel dieser Metzgereiübergabe in der Stadt Bern nicht für typisch. «Es ist aber durchaus so, dass gerade in letzter Zeit vereinzelt Quereinsteiger ins Metzgereigewerbe eingestiegen sind.» Zudem gebe es eine Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit, Ökologie und gesunder Ernährung. «Deshalb ist es ganz wichtig, wie sich der einzelne Metzger, der einzelne Fleischfachmann positioniert.»

Markus Schori im Gegensatz dazu verarbeitete kiloweise Fleisch für Fondue Chinoise, Mutter Rina packte Cordons Bleus ein, schnitt Fleischkäse. Was die Schori-Kunden halt gerne mochten. «Es wird vielleicht schwierig werden für sie, unsere Kundschaft zu bedienen, da sie ein ganz anderes Konzept haben», meint Markus Schori. Neues löse Altes ab, sagt Vinzenz Gurtner dazu.

«Wer was nimmt und ob die Leute kommen, das weiss ich nicht. Vielleicht wollen sie ein bestimmtes Stück Fleisch und sind dann enttäuscht, wenn es das nicht gibt. Der Ausgang dieser Geschichte, die wir hier öffnen, ist offen.» Aber immerhin: Sie geht weiter, die Geschichte einer alten Metzgerei in Bern.

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