«Es regnete Leichen vom Himmel.» Dieser Satz hat sich ins Gedächtnis des ehemaligen Polizeidirektors in Friedrichshafen (Baden-Württemberg) gebrannt. So sehr, dass sich Hans-Peter Walser noch 20 Jahre nach der tragischen Flugzeugkollision über dem deutschen Bodensee daran erinnert.
Er hat den Satz am Abend des 1. Juli über Funk gehört – als er bereits auf dem Weg zum Einsatzort war. An dem Abend, an dem hunderte Menschen auf einen Schlag Familienangehörige, Freunde oder Bekannte verloren haben. Am Freitag findet nun wieder, gefolgt von einer Gedenkwoche, die Gedenkfeier am Unglücksort in Überlingen statt.
Fühle mich hier, als hätte sich alles erst gestern zugetragen.
Für die Angehörigen ein Einholen der Vergangenheit: «Wenn ich hier an dieser Stelle stehe, dann wird alles unheimlich präsent. In meiner Nase steigt der Geruch von Verbranntem auf», sagt Taras Kostenko dem Südwestrundfunk (SWR).
Er steht an der Gedenkstätte in Deutschland. Vor ihm mehrere riesige, silberne Kugeln. Sie erinnern an eine zerrissene Perlenkette. Ein Symbol dafür, wie ruckartig die Menschen hier aus dem Leben gerissen wurden. Kostenko hat damals seine Schwester verloren. «Die Gefühle, die ich hier an diesem Ort der Absturzstelle empfinde, sind so, als ob sich das alles erst gestern zugetragen hätte. Es ist, als hätte sich nichts verändert. Man kann das nicht vergessen.»
Viele Angehörige treffen sich regelmässig an der Gedenkstätte, um gemeinsam zu trauern und sich auszutauschen. Doch ob die meisten auch dieses Jahr kommen können, ist noch unklar. Denn ein Grossteil von ihnen sind russische Staatsangehörige. Aufgrund des Ukraine-Kriegs gestaltet sich die Anreise für sie nach Deutschland schwierig. Direktflüge gibt es nicht, und eine Reise mit Umsteigen sei ein Vermögen für die meisten Familien, sagt Nadja Wintermeyer dem Tages-Anzeiger.
Seit dem Unglück steht sie mit den Betroffenen in Kontakt, hat sie direkt danach als Dolmetscherin vor Ort begleitet und präsidiert jetzt den Verein «Brücke nach Ufa». Denn was die Helferinnen, Anwohner und Betroffenen damals in dieser Nacht erlebt haben, das verbindet und schlägt Brücken – von West nach Ost.
Folgenschwerster Flugunfall Deutschlands
Das Ereignis ist später in die Geschichte als folgenschwerster Flugunfall in Deutschland eingegangen. In den Medien wurde von «menschlichem Versagen» und «technischen Mängeln» gesprochen – vor allem, wenn es um die Flugsicherung Skyguide ging.
Denn im Zürcher Kontrollzentrum sass ein Fluglotse, der allein für den Luftraum über Süddeutschland zuständig war und dessen Radar und Telefon wegen Wartungsarbeiten nur eingeschränkt zur Verfügung standen. Dass ein Unglück drohte, bemerkte der Mann zu spät.
Zwei Jahre nachdem der Lotse den Fehler gemacht hatte, im Jahr 2004, wurde er von einem russischen Angehörigen dreier Opfer erstochen. Er hatte bei dem Unfall seine Frau und beide Kinder verloren.
Das geht an keinem spurlos vorbei.
Auch bei der Flugsicherung Skyguide beschäftigen diese Ereignisse noch heute. «Das Unglück von Überlingen gehört zu unserer Geschichte, es wird uns immer begleiten», sagt Mediensprecher Vladi Barrosa zu SRF. Am Tag der Gedenkfeier sei die Betroffenheit natürlich wieder besonders gross. «Viele Mitarbeitenden, die bei uns arbeiten, waren damals dabei, da werden Emotionen und Erinnerungen wieder wach, das geht an keinem spurlos vorbei.»
Skyguide bedauere sehr, dass das überhaupt jemals geschehen sei. «Wir tun unser Bestes, damit sich ein solches Unglück nie wieder wiederholt», so Barrosa. Dazu sei zum Beispiel eine Safety-Abteilung kurz nach dem Unfall gegründet worden. «50 Mitarbeitende machen eigentlich nichts anderes als Verfahren und Prozesse auf Herz und Nieren zu prüfen.»