Am 5. Juni stimmt das Schweizer Volk zum zweiten Mal innert kurzer Zeit über die Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. Vor einem Jahr ging es um die Grundlagen in der Verfassung. Nun steht die Gesetzesänderung zur Diskussion, mit der das Verbot von Tests an Embryos aufgehoben würde.
Noch hat die Schweiz die strengsten Regeln in Europa. Die Untersuchung von Embryos, die im Reagenzglas gezeugt wurden, ist heute verboten. Der Arzt weiss also nicht, ob er der Mutter einen gesunden Embryo einpflanzt oder einen mit einer Chromosomenstörung.
Sind die Eltern Träger einer Erbkrankheit, leidet der zufällig ausgewählte Embryo möglicherweise ebenfalls daran. Jene, die dieses Risiko nicht eingehen wollen, reisen für die künstliche Befruchtung ins Ausland. Spanien oder Belgien gehören zu den wichtigsten Zielen des so genannten PID-Tourismus. Wie viele Paare diese Reise der Hoffnung unternehmen, ist nicht bekannt.
Ebenfalls keine Statistik gibt es darüber, wie viele Frauen den Kinderwunsch aufgeben. Manche entschliessen sich nach einer künstlichen Befruchtung auch für eine Abtreibung, wenn das werdende Kind nicht gesund ist. Das lässt sich ermitteln, denn anders als im Reagenzglas darf der Embryo im Mutterleib untersucht werden.
Ruf nach Liberalisierung
Solche «Schwangerschaften auf Probe», der PID-Tourismus und die geringere Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Befruchtung mit ungetesteten Embryos liessen den Ruf nach einer Lockerung des PID-Verbots laut werden.
2005 beauftragte das Parlament den Bundesrat mit der Ausarbeitung einer Gesetzesänderung. Mit der PID liessen sich viele Merkmale ermitteln, etwa das Geschlecht, die Haarfarbe oder andere körperliche Merkmale.
Doch der Bundesrat blieb zurückhaltend: Das prinzipielle Verbot sollte zwar aufgehoben werden. Aber nur jene Paare sollten das Verfahren in Anspruch nehmen dürfen, die auf künstliche Befruchtung angewiesen und zugleich Träger einer schweren Erbkrankheit sind. Das wären 50 bis 100 Paare im Jahr.
Dem Parlament genügte das nicht. 2014 verabschiedeten die Räte eine Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes, die auch das so genannte Aneuploidie-Screening zulässt. Damit können die Embryos auf Chromosomen-Anomalien wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) untersucht werden. Diese Tests sollen allen Paaren offenstehen, die künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen. Pro Jahr sind das rund 6000. Die Untersuchung wird nicht von der Krankenkasse bezahlt.
Parteien gespalten
Damit die PID überhaupt sinnvoll durchgeführt werden kann, ist eine ausreichende Anzahl künstlich befruchteter Embryos nötig. Das geplante Gesetz erlaubt höchstens zwölf. Dafür mussten zunächst die Grundlagen in der Bundesverfassung geschaffen werden. Am 14. Juni 2015 sagten Volk und Stände klar Ja zur Verfassungsänderung.
Im Abstimmungskampf war deutlich geworden, dass die Aufhebung des PID-Verbots eher eine Frage des Gewissens als des Parteibuchs ist: Die CVP schlug sich mit FDP und Grünen ins Ja-Lager, die SVP lehnte die Vorlage ab, die SP beschloss Stimmfreigabe.
Auch die Gesetzesänderung spaltet die Parteien. In den Referendumskomitees sind alle Bundeshausfraktionen vertreten – mit Ausnahme der Grünliberalen.
Gegner fordern Grenzen für die Medizin
Die Gegner bestreiten nicht, dass die PID das Leid der betroffenen Paare und der Kinder mindern könnte. Doch grundsätzliche Bedenken gegen die Embryo-Untersuchung wiegen ihrer Ansicht nach schwerer. Sie stellen die Frage nach den Grenzen der technischen und medizinischen Machbarkeit. Ein Teil der Gegner hätte mit der Zulassung der PID nur für Träger schwerer Erbkrankheiten noch leben können.
In der Vorlage, die nun zur Abstimmung kommt, sehen sie aber einen ersten Schritt hin zur Auswahl bestimmter Eigenschaften, zu «Designer-Babys» und zur Eugenik. Zudem befürchten sie, dass der gesellschaftliche Druck auf behinderte Kinder und ihre Eltern wegen der vermeintlichen Vermeidbarkeit von Behinderungen zunehmen könnte.
Die Befürworter führen den PID-Tourismus ins Feld, die Schwangerschaft auf Probe und die Belastung der Frauen durch wiederholte erfolglose Befruchtungszyklen und Mehrlingsschwangerschaften. Die Zulassung der PID ist für sie aber nicht nur sachlich geboten. Sie sehen es als Gebot der Menschlichkeit, das Leid der Betroffenen zu mindern. Setzen sie sich an der Urne durch, gehört die Schweiz punkto PID auf einen Schlag zu den liberalsten Ländern Europas.