Er ist der Mann für die ganz schweren Fälle: Frank Urbaniok, der wohl bekannteste Gerichtspsychiater der Schweiz. Über 20 Jahre lang hat er nach schweren Gewalt- und Sexualverbrechen immer wieder öffentlich versucht, die Geschehnisse einzuordnen. Nun gibt er aus gesundheitlichen Gründen die Leitung des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich ab.
Mehr verwahrte Straftäter
Er sei kein Hardliner, sagt Frank Urbaniok in der «Samstagsrundschau» von SRF. Er wehrt sich vehement gegen diesen immer wiederkehrenden Vorwurf: «Ich glaube, das ist eine falsche Einordnung. Mir ging es immer darum, den Einzelfall möglichst genau abzubilden. Ideologische Sachen waren mir immer fremd.»
Doch Zahlen zeigen, dass in den letzten Jahren mehr gefährliche Straftäter verwahrt wurden. Das räumt Urbaniok ein. Er stellt aber klar: «Das ist auch eine Reaktion auf die 1990er-Jahre, als das Pendel auf der anderen Seite war und man zu naiv mit Risiken umgegangen ist.» Die Verschärfung, die danach eingetreten ist, sei berechtigt gewesen – auch wenn die Zahl der Verwahrten immer noch sehr klein ist. Diese liegt laut Urbaniok bei unter einem Prozent.
Denken in Schubladen?
Die Verwahrungsdiskussion begann 1993, als der Mord an einer 20-jährigen Pfadiführerin am Zollikerberg (ZH) die Schweiz erschütterte. Der Täter war auf Hafturlaub gewesen. Damals arbeitete die Gerichtspsychiatrie nach der Methode, dass alle Straftäter resozialisierbar seien. Nach dem Fall Zollikerberg hat Urbaniok die forensische Psychiatrie weiter entwickelt und jahrelang geprägt.
Er hat auch Fotres entwickelt, ein diagnostisches System zur Erfassung von Risiken bei Straftätern. So berechnet Urbaniok die Rückfall-Wahrscheinlichkeit eines Schwerverbrechers: «Wenn ein Täter sadistisch ist und Freude am Quälen von Menschen empfindet, reicht dieses Merkmal dafür aus, dass Gefährlichkeit ausgelöst wird. Es braucht nicht noch zehn andere.»
Die Gutachten und damit auch die Psychiater haben eine grössere Bedeutung, als vor 10, 20 Jahren.
Das System Fotres kommt auch in mehreren anderen Ländern zum Einsatz, sein Erfinder wurde über die Landesgrenze hinaus bekannt. Damit kam auch Kritik auf, er «schubladisiere» alle Straftäter und wolle möglichst viele wegsperren.
«Der Richter entscheidet»
Urbaniok kennt diese Kritik, er hält sie für falsch. Die Macht liege immer noch beim Richter: «Die Gutachten und damit auch die Psychiater haben eine grössere Bedeutung, als das vor 10, 20 Jahren gewesen ist. Die Rollenteilung ist aber nach wie vor die gleiche: Der Richter ist der, der entscheidet.»
Der Gerichts-Psychiater tut sich schwer mit der Frage, ob ihn der jahrelange Umgang mit Schwerstverbrechern verändert hat. «Ich bin sicher, dass mich das geprägt hat. Mir ist bewusst: Es gibt nichts auf der Welt, was es nicht gibt. Ich habe vieles gesehen, was man sich nicht vorstellen kann. Wichtig ist, dass man den Einzelfall betrachtet und nicht schubladisiert.»
Urbaniok gilt als unermüdlicher Schaffer, er wurde auch schon als «besessen» bezeichnet. Der Psychiater relativiert: «Ich würde eine nettere Vokabel wählen und von ‹Leidenschaft› sprechen. Aber man kann das schon so sehen.» Wegen einer schweren Erkrankung wird Professor Urbaniok nun beruflich kürzer treten.