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Geflüchtet und gestrandet Wie ukrainische Geflüchtete erfolglos nach Arbeit suchen

Gut qualifiziert und arbeitslos: Drei Menschen aus der Ukraine erzählen von ihrer schwierigen Jobsuche in der Schweiz.

Als Maxsym Kalinin am 24. Februar 2022 um 5 Uhr morgens in Hostomel bei Kiew aufwachte, flogen ihm die Fenster um die Ohren: «Die Luft war voller russischer Flugzeuge und Helikopter», erinnert sich der ukrainische Familienvater an den ersten Tag der russischen Invasion.

Kalinin und seine Frau wohnten in Sichtweite des Flughafens. Sie packten den einjährigen Sohn und das Nötigste und flohen zu Freunden nach Genf. Zurück blieben rauchende Trümmer. «Unsere Wohnung wurde komplett zerstört.»

Zerstörte Wohnhäuser in Hostomel (5. April 2022).
Legende: Am ersten Kriegstag versuchten russische Luftlandetruppen den grossen Flughafen in Hostomel einzunehmen und direkt nach Kiew vorzustossen. Bild: Zerstörte Wohnhäuser in Hostomel (5. April 2022). Getty Images/Oleksandr Klymenko

In Genf gelang es Kalinin, seine Ausbildung als Ingenieur anerkennen zu lassen, er bildete sich weiter und lernte Französisch von null auf. «Als ich in Genf ankam, konnte ich nur ‹bonjour› und ‹au revoir› sagen.» Heute hat er ein Diplom B2 für Fortgeschrittene.

Was er aber nicht geschafft hat, ist, einen Job zu finden. Und das frustriert. Er überlege sich ernsthaft nach Dubai weiterzuziehen, sagt er. Dort boomt die Bauwirtschaft – und es gebe weniger bürokratische Hindernisse.

In der Schweiz hat es drei Jahre gedauert, bis ich mich einigermassen integriert gefühlt habe.
Autor: Vladimir Yefimov Ökonome aus der Ukraine

Auch die Landschaftsarchitektin Valeria Synelnykova aus Kiew hat in der Schweiz keinen Job gefunden. Das Regionale Arbeitsvermittlungszentrum RAV habe ihr in anderthalb Jahren kein einziges Angebot gemacht. Also habe sie selbst nach Arbeit gesucht – ohne Erfolg.

Auch der Ökonom Vladimir Yefimov, der aus gesundheitlichen Gründen die Ukraine verlassen durfte, ist seit drei Jahren nur ehrenamtlich tätig. Als er vor dem Krieg in London arbeitete, habe er binnen eines Jahres einen Job gefunden. «In der Schweiz hat es drei Jahre gedauert, bis ich mich einigermassen integriert gefühlt habe.»

Ein Grund sei der Schutzstatus S, vermutet Maxsym Kalinin. Er gilt vorläufig noch bis im März 2026. Falls er dann ausläuft, haben die ukrainischen Geflüchteten noch ein Jahr Zeit, bis sie das Land verlassen müssen – eine zu unsichere Perspektive für Arbeitgeber. Manche Firmen in der Schweiz seien mit dem Schutzstatus S wenig vertraut, und Zehntausende pendelten jeden Tag aus dem benachbarten Frankreich nach Genf, sagt Kalini.

SEM: «Hochspezialisierter Schweizer Arbeitsmarkt»

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Die damalige Migrationsministerin Karin Keller-Sutter spricht mit einer Ukrainerin mit Schutzstatus S
Legende: Die damalige Migrationsministerin Karin Keller-Sutter spricht mit einer Ukrainerin mit Schutzstatus S (Juni 2022 in Münsingen). Keystone/Anthony Anex

Obwohl viele ukrainische Geflüchtete gut qualifiziert sind, finden sie in der Schweiz keine Arbeit. Immerhin habe sich die Arbeitsquote unter den Ukrainern im letzten halben Jahr von 27 auf 32 Prozent verbessert, hält Samuel Wyss vom Staatssekretariat für Migration (SEM) dagegen. Aber: «Der Schweizer Arbeitsmarkt ist hochspezialisiert und zu vielen Berufen ist der Zugang reguliert.»

In der Realität sei es schwierig, ukrainische Abschlüsse zu bewerten und anzuerkennen. Viele hätten nicht auf dem Gebiet gearbeitet, auf dem sie ausgebildet worden seien, sagt Wyss. Und: «Die Sprachbarriere ist in der Schweiz höher als in gewissen anderen europäischen Ländern. Hierzulande ist Englisch in den meisten Branchen keine Arbeitssprache.»

Kalinin, Synelnykova und Yefimov haben sich an der Fachhochschule Bern kennengelernt. Sie alle absolvierten ein Certificate of Advanced Studies (CAS) mit dem Titel «Rebuild Ukraine».

Der diesjährige CAS-Kurs «Rebuild Ukraine» der BFH.
Legende: Synelnykova und Kalinin beispielsweise haben in einer Projektgruppe ein Konzept für modulare Holzbauten entwickelt, als nachhaltiger und CO₂-freundlicher Ersatz für die zerstörten Häuser und Plattenbauten in der Ukraine. Im Bild sind die diesjährigen Teilnehmenden des Kurses. Berner Fachhochschule

In diesem Kurs habe er das erste Mal seit der Flucht aus der Ukraine das Gefühl erhalten, auf seinem beruflichen Niveau zu arbeiten, sagt Yefimov. «Als ich vor drei Jahren in die Schweiz kam, bin ich in der sozialen Hierarchie buchstäblich abgestürzt.»

Das Leben nach dem Überleben

Die Idee des Kurses sei, ukrainische Flüchtlinge in der Schweiz für den Wiederaufbau des Landes zu qualifizieren, sagt Jacques Gerber, der Delegierte des Bundesrats für die Ukraine. «Für den Wiederaufbau der Ukraine braucht es Ressourcen – dazu gehört eine gute Ausbildung.»

Aber nicht einmal eine Handvoll der 24 Absolventinnen und Absolventen dieses Kurses haben eine Stelle in der Schweiz. Der Kurs solle eine künftige Rückkehr erleichtern, hält Gerber dagegen. «Die Leute werden zurückkehren, wenn sie einen Job, eine Zukunft in der Ukraine haben.»

Doch im Moment sieht es nicht nach einem Ende des Krieges aus. Die Zukunft sei ein Rätsel, sagt Yefimov. Was die 24 gut ausgebildeten Absolventen des Kurses «Rebuild Ukraine» hier in der Schweiz am meisten frustriert, ist, dass es so schwierig ist, einen Job zu finden. Überleben in einem sicheren Land ist das eine, und dafür sind sie dankbar. Aber irgendwann, nach dem Überleben, beginnt das Leben wieder.

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Rendez-vous, 30.5.2025, 12:30 Uhr;liea

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