Das Wichtigste in Kürze
- In Adliswil ZH läuft unter dem Namen Aprioris bis Juni 2018 ein Pilotprojekt mit einer neuartigen Praxis für medizinische Soforthilfe. Sie ist in einem separaten Raum in einer Apotheke untergebracht. Eine zweite Praxis in der Westschweiz wird bald eröffnet.
- Gedacht ist die Praxis als Stufe zwischen Arzt und Apotheke für die häufigsten Alltagsbeschwerden. So sollen unnötige Besuche beim Arzt oder im Notfall eines Spitals verhindert und die Apotheken als Anlaufstellen für einfache Beschwerden gestärkt werden.
- Betreut wird die Praxis von erfahrenen Pflegefachfrauen. Ein Arzt wirkt nur im Hintergrund. Der Besuch in der Pflegepraxis kostet pauschal 58 Franken.
- Im Gesundheitswesen stösst die neuartige Pflegepraxis auf Interesse. Einige Gruppierungen schauen aber skeptisch auf das neue Modell.
Eine Anlaufstelle für medizinische Alltagsprobleme, für die ein Arztbesuch übertrieben ist und die ein Apotheker nicht behandeln kann. Das ist die Idee von Aprioris. Es handelt sich um eine Praxis für einfache, häufige Beschwerden wie Hals-, Ohren- oder Kopfschmerzen, leichtere Verbrennungen oder Ausschläge. Untergebracht ist sie in den Räumlichkeiten einer Apotheke in Adliswil ZH.
Ansprechpersonen dort sind Pflegefachfrauen mit mehrjähriger Erfahrung auf Notfallstationen. Die Praxis ist ein Pilotprojekt des Apotheken- und Gesundheitskonzerns Galenica. Es läuft seit Januar 2017 und wird von einer wissenschaftlichen Untersuchung begleitet. Das Projekt läuft bis Juni 2018.
Computerprogramm hilft bei der Diagnose
Die Pflegeexpertinnen können Patienten, die aus der Apotheke zu ihnen in die Praxis kommen, mit verschiedenen Hilfsmitteln befragen und untersuchen. So werden sie von einem speziellen Computerprogramm unterstützt. Damit können sie Patienten systematisch befragen, so wie es auch ein Arzt machen würde. Das Programm hat zudem Kontroll- und Warnmechanismen eingebaut. Weiter können die Pflegefachfrauen Patienten auf einem Liegesessel untersuchen und Wunden verarzten. Sie haben auch die Möglichkeit, gleich vor Ort gewisse Laboranalysen zu machen.
Ganz ohne Arzt geht es auch bei Aprioris nicht. Alle Untersuchungsergebnisse und Behandlungsempfehlungen werden im Hintergrund mit einem Arzt besprochen. Dies geschieht telefonisch.
Ein Besuch bei Aprioris kostet pauschal 58 Franken. In der Pauschale sind Laboruntersuchungen und Material inbegriffen. Diesen Betrag bezahlen die Patienten selber, er wird nicht von der Krankenkasse übernommen. Die Kosten werden aber nur verrechnet, wenn der Fall ganz bei Aprioris abgeschlossen werden kann und der Patient nicht an einen Arzt weiterverwiesen wird.
Zielgruppe: Leute mit hoher Franchise und Ausländer
Zielgruppe der neuartigen Praxis seien generell gesunde Erwachsene mit hoher Franchise bei der Krankenkasse, die ein gesundheitliches Problem rasch und unkompliziert lösen wollen, sagt Christian Köpe, der Aprioris für Galenica entwickelt hat. Ein Arztbesuch sei schnell einmal teurer als die 58 Franken in der Pflegepraxis. Auch Ausländer seien eine mögliche Zielgruppe. Diese hätten häufig keinen Hausarzt und würden bei medizinischen Problemen daher schnell eine Permanence oder ein Spital aufsuchen.
Im Idealfall soll Aprioris das Gesundheitssystem entlasten. Die Idee ist es laut Christian Köpe aber auch, die Apotheken als Anlaufstelle für medizinische Probleme zu stärken. Die Standort-Apotheken würden von Aprioris aber keinen Anteil an den Einnahmen erhalten, sagt er. Natürlich will ein Konzern wie Galenica mit einem solchen Pflegepraxis-Modell auch Geld verdienen. Noch ist es aber nicht soweit.
Christian Köpe sagt: «Es dürfte noch eine Weile dauern, bis man von ‹Verdienen› reden kann.» Die Investitionen seien im Moment höher als die Einnahmen. Man erachte das Projekt aber als Investition in die Zukunft. Bald werde eine zweite Pilotpraxis in der Westschweiz eröffnet.
Pilotversuch wird mit Interesse verfolgt
Im Gesundheitswesen stösst die neuartige Pflegepraxis auf Interesse. Viele Akteure wie die Ärztevereinigung FMH, der Hausarztverband, der Krankenkassenverband Curafutura, der Patientenschutz und Gesundheitsexperten reagieren gegenüber dem Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1 verhalten positiv auf Aprioris. Man sei gespannt, ob sich das Modell bei der Bevölkerung durchsetze und ob es das Gesundheitssystem wirklich entlasten könne. Das werde der Markt zeigen müssen. Diese positive Haltung hat auch damit zu tun, dass Aprioris vor der Lancierung das Gespräch mit vielen Akteuren im Gesundheitswesen gesucht und ihnen das Modell detailliert vorgestellt hat.
Kritik kommt denn auch in erster Linie von Organisationen, welche im Vorfeld nicht einbezogen und informiert wurden. So zeigen sich der Krankenkassenverband Santésuisse und der Dachverband der Patientenorganisationen eher skeptisch gegenüber der Pflegepraxis. Sie fragen beispielsweise, wie Behandlungsqualität und Kontrollen dort aussehen. Zudem glauben sie nicht, dass ein neues Angebot das Gesundheitssystem entlaste und die Kosten senke. In der Regel sei das Gegenteil der Fall.
Ähnliches Pilotprojekt von Pharmasuisse
Aprioris ist nicht das einzige Angebot für einfache medizinische Beschwerden. Der Apothekerverband Pharmasuisse hat unter dem Namen Netcare ein eigenes Projekt am Laufen. Dabei macht der Apotheker selber die Befragungen und Behandlungsempfehlungen, ebenfalls mit Hilfe eines Computerprogramms. Zudem können via Telemedizin Ärzte zugeschaltet werden.
Mehrere Akteure im Gesundheitswesen sind überzeugt, dass ein niederschwelliges Angebot ein Bedürfnis ist, wo Menschen rasch eine medizinische Beurteilung erhalten. Ob und in welcher Form sich solche Modelle durchsetzen, dazu wagt niemand eine Prognose.