Ein verschlafener Weiler, umgeben von grünen Hügeln – das ist das Zuhause von Fabia Wenger und ihrer Familie. Vor fünf Jahren ist sie von Thun hierhergezogen. Und eigentlich wohnt die 37-Jährige gerne in Oberbalm BE, wäre da nicht die Sache mit der Kinderbetreuung.
Kitakosten von 6000 Franken pro Jahr
«Alle umliegenden Gemeinden stellen Betreuungsgutscheine aus, nur unsere nicht. Das ist unfair», so die Pflegefachfrau. Fabia Wenger und ihr Mann arbeiten beide Teilzeit in der Pflege; die zweijährige Tochter geht einen Tag pro Woche in die Kita. Kostenpunkt: rund 6000 Franken pro Jahr. Weil die Familie in Oberbalm wohnt, muss sie die gesamten Kosten selbst berappen.
Als erster Kanton überhaupt führte Bern 2020 flächendeckend Betreuungsgutscheine ein. Seither werden in Bern nicht mehr einzelne Kitas oder Betreuungsplätze subventioniert, sondern die Eltern erhalten finanzielle Unterstützung in Form von Gutscheinen, abhängig von Faktoren wie Einkommen oder Vermögen.
Teilnahme der Gemeinden ist freiwillig
«Das neue System hat sich bewährt», sagt Susan Buergi, Co-Leiterin des Bereichs Betreuungsgutscheine beim Kanton Bern. «Es ist gerechter als das alte System. Die Chancengleichheit wird berücksichtigt.» Rund 14'000 Kinder im Kanton Bern profitieren mittlerweile von Kita-Gutscheinen.
Das System ermöglicht den Eltern mehr Flexibilität: «Sie können die Kinder nun in eine private Kita oder in eine ausserhalb ihrer Wohngemeinde schicken. Das war früher nicht möglich.»
Die Aufgabenteilung ist klar geregelt: Der Kanton finanziert die Gutscheine, die Gemeinden vergeben sie. Allerdings ist die Teilnahme am System freiwillig – so sieht es das kantonale Gesetz vor. Fast 95 Prozent der Gemeinden machen mit.
«Wir sind eine bäuerliche und ländliche Gemeinde»
Fabia Wengers Familie wohnt in einer der Gemeinden, die keine Betreuungsgutscheine anbieten. Insgesamt sind es 17, alles Klein- und Kleinstgemeinden, verteilt über den ganzen Kanton. Oberbalm ist mit rund 870 Einwohnerinnen und Einwohnern die grösste.
Mehrfach hat Fabia Wenger den Kontakt mit der Gemeinde gesucht. Per Brief, per Post, per Telefon. «Schon vor der Geburt unserer Tochter vor zweieinhalb Jahren habe ich nachgefragt. Aber ich habe keine Rückmeldung bekommen. Ich rede gegen eine Wand.»
Warum gibt es keine Betreuungsgutscheine in Oberbalm? Gemeindepräsident Rudolf Anken sagt, es habe bislang schlicht niemand danach gefragt: «Wir sind eine bäuerliche und traditionelle Gemeinde, die Betreuung wird meist innerhalb der Familie organisiert.»
Und was ist mit den Kontaktversuchen von Fabia Wenger? Er erfahre erst jetzt davon, so der Gemeindepräsident. «Wir hatten auf der Verwaltung in den letzten Jahren krankheitsbedingt einige Wechsel.»
Grundsätzlich habe er Verständnis für das Anliegen und sei offen – es sei ohnehin eine Frage der Zeit, bis die Gemeinde Betreuungsgutscheine anbiete oder anbieten müsse. «Es ist eine Überbauung mit 25 Wohnungen geplant», so Rudolf Anken. Da würden sicherlich neue Familien nach Oberbalm ziehen, und es werde eine grössere Nachfrage nach Kita-Gutscheinen geben.
Auch Fabia Wenger ist überzeugt: «Die Gemeinde muss Betreuungsgutscheine anbieten, wenn sie für Familien attraktiv sein will.» Sie hofft nun, dass Oberbalm handelt – noch bevor ihre Tochter nächstes Jahr in den Kindergarten kommt.