Ein spezielles Faltblatt ist dieser Tage in die Briefkästen der Bewohnerinnen und Bewohner von Novazzano geflattert. Die kleine Gemeinde liegt im Mendrisiotto nahe der Grenze zu Italien. Auf dem Flyer sieht man – fotografiert von oben – alle 26 Kandidatinnen. Dann der Imperativ «Mehr Frauen in die Politik!», und alphabetisch aufgeführt die Namen der Kandidatinnen.
Francesca Marianni Arcobello ist eine von ihnen. Sie politisiert als Unabhängige und kandidiert zum ersten Mal: «Wir zeigen mit diesem Wahlflyer, der alle Kandidatinnen auflistet, dass es mehr Frauen braucht. Wir Frauen setzen uns für mehr Frauen ein. Egal, zu welcher Partei wir gehören.»
Die Tatsache, dass dieser Frauenliste 86 Kandidaten bei den Gemeindewahlen vom 18. April gegenüberstünden, verdeutliche den dringlichen Handlungsbedarf, so Francesca Arcobello.
Die Feministinnen-Frage
Ihre Namensvetterin Francesca Cardelli Cognat von der CVP betont: «Ich bin keine Feministin, aber ich bin davon überzeugt, dass wir Frauen einiges beizutragen haben in dieser Welt.»
Die Frage, wer Feministin ist oder es eben nicht sein will, hat ganz offensichtlich zu reden gegeben unter den 26 Frauen. Nicht immer waren die Töne leise, heisst es hinter vorgehaltener Hand. Der grosse Streit aber blieb offenbar aus, denn sonst gäbe es diese gemeinsame Liste wohl nicht.
Neue Sichtweisen - mehr Lösungen
Bei Frauen sei die Streitsucht eben tendenziell kleiner, sagt die Bürgerliche Francesca Cognat: «Der Dialog ist offener. Es geht weniger um Machtspiele, die Idee und das Ziel stehen im Vordergrund.»
Ihre unabhängige Kollegin Francesca Arcobello führt an, dass sich der Inhalt der Diskussionen verändert, wenn die Sichtweisen von Frauen einfliessen: «Mehr unterschiedliche Sichtweisen führen zu mehr Lösungsansätzen. Damit können mehr Probleme gelöst werden. Das dient allen.»
Gemeinsame Ziele
Probleme gibt es genügend zu lösen. In Novazzano beispielsweise geht es darum, wie der Ortskern künftig aussehen soll. Dazu kommen die ganz offenkundigen grundsätzliche Probleme, wie Francesca Arcobello betont: «In der Wirtschaft sehen wir, dass mehr Frauen in der Krise ihren Job verlieren. In Italien ist das ganz besonders schlimm. Das ist ungerecht und was ungerecht ist, ist schlecht für alle.»
Ihre CVP-Kollegin pflichtet ihr zu hundert Prozent bei und spricht dann über die unerklärbare Lohnungleichheit gegenüber Männern, die es unbedingt zu überwinden gelte.
Es sind die Themen, die sie vereinen, sagen die Kandidatinnen von Novazzano. Sie wollen mit ihrer Frauenliste ein Zeichen setzen, dass es mehr Frauen in der Politik braucht. Für eine Welt, die auch für Frauen gerechter ist. Francesca Cognat: «Ich weiss ja nicht, ob ich gewählt werde. Es geht auch nicht um mich, sondern darum, dass es mehr Frauen gibt in der Politik.»
Frühling soll anhalten
In Novazzano herrschen Frühlingsgefühle, was die Aufbruchstimmung der Frauen angeht. Sie hoffen, dass diese Aufbruchstimmung weit über das Datum der Gemeindewahlen hinaus andauert.
Die männliche Politriege reagiere unterschiedlich auf diese Aufbruchstimmung, berichten die Frauen. Typischerweise seien die älteren Politiker etwas skeptisch. Möglicherweise hätten sie etwas Angst. Kein Wunder: Frauen sind in der Politgeschichte von Novazzano tatsächlich seltene Wesen. Bisher gab es gerade einmal zwei Frauen im Gemeinderat.