Das Wichtigste in Kürze
- Für die verdeckte Überwachung von Bezügern einer Invalidenrente fehlt es laut Bundesgericht an einer klaren gesetzlichen Grundlage.
- Das Bundesamt für Sozialversicherungen will aufgrund des Urteils vorläufig keine verdeckten Observationen mehr anordnen und laufende verdeckte Überwachungen beenden.
- Erst wenn das entsprechende Gesetz in Kraft ist, will das Bundesamt verdeckte Überwachungen wieder zulassen. Eine Revision läuft im Moment.
Gute Nachricht aus Lausanne für fast alle der rund 220'000 IV-Rentnerinnen und Rentner: Sie müssen vorläufig nicht mehr befürchten, von Sozialdetektiven verdeckt überwacht zu werden. Das Bundesgericht hat entschieden, dass dafür die rechtliche Grundlage in der Schweiz nicht genüge.
Bundesgericht weist Klage trotzdem ab
Eine schlechte Nachricht gibt es allerdings für den Kläger im konkreten Fall. Ihm wird seine IV-Rente aberkannt, obwohl er rechtswidrig überwacht worden war. In der Abwägung zwischen den privaten Interessen des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von Versicherungsmissbrauch, entschied das Bundesgericht gegen den Rentner aus der Zentralschweiz.
Dieser leidet an einer mittelschweren Depression und entwickelte in der Folge auch körperliche Beschwerden. Vor sieben Jahren erhielt er deswegen eine halbe Invalidenrente – möglicherweise zu Unrecht vermutete die zuständige IV-Stelle.
Sie liess den Mann an vier Tagen überwachen und entschied auf Grund der gesammelten Beweise, dass er keine Rente benötige. Eine Anklage wegen Versicherungsbetruges aber gab es nie.
Vor dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug erzielte der Mann dann auch einen Teilsieg. Die Rente wurde ihm weiter ausbezahlt und erst auf Ende 2015 gekündigt. Auch dagegen wehrte sich der Betroffene. Das Bundesgericht lehnt nun seine Beschwerde ab.
Bundesgericht lässt Beweismittel zu
Die Begründung des Bundesgerichts: Der Mann sei nur im öffentlichen Raum überwacht und nicht beeinflusst worden. Zudem sei die Überwachung nur kurz und nicht systematisch gewesen. Ausserdem sei die Observation auf Grund nachvollziehbarer Zweifel eingeleitet worden.
Damit – findet das Bundesgericht – durften die Beweismittel verwendet werden, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte letzten Oktober entschieden hatte, die Schweiz verfüge nicht über eine ausreichende Gesetzesgrundlage für die verdeckte Überwachung.
Anwalt überlegt sich Weiterzug
Der Anwalt des Klägers reagiert enttäuscht. Er überlegt sich, auch diesen Fall an den europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg weiter zu ziehen. Der Grundsatz auf ein faires Verfahren sei verletzt worden, weil die Interessenabwägung zwischen dem Recht auf Privatsphäre und dem Recht der Öffentlichkeit auf Schutz vor Versicherungsmissbrauch nicht wirklich geklärt worden sei.
Sicher aber ist, dass die Schweizer Gesetze präzisiert werden müssen. Das Parlament arbeitet im Rahmen der Teilrevision des Sozialversicherungsgesetzes daran.
Bis die entsprechenden Gesetze in Kraft sind, verzichtet nun das Bundesamt für Sozialversicherungen auf verdeckte Überwachungen im IV-Bereich. Beim Unfallgesetz gilt das schon seit letzten Herbst.
Allerdings heisse das nicht, dass die Missbrauchsbekämpfung eingestellt werde, betont der Sprecher des Bundesamtes. Letztes Jahr ging man knapp 2'000 Verdachtsfällen nach, lediglich 270 davon mit verdeckten Überwachungen. 85 Prozent der Fälle konnte man also mit Befragungen, zusätzlichen Untersuchungen bei Ärzten und anderen offenen Ermittlungen erledigen.
Ungefähr jeder dritte Verdachtsfall bestätigte sich, bei den 270 verdeckten Observationen erwiesen sich 180 als begründet. Diese werden nun aber wie gesagt eingestellt, bis die entsprechende Gesetzesgrundlage vorliegt.