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Gesetz gegen Terroristen «Das Gesetz ist für die Bürger schlicht nicht abschätzbar»

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona setzt sich heute mit der Frage auseinander, ob es sich bei einer Videoproduktion des Islamischen Zentralrats um Propaganda oder um eine journalistische Leistung handelt. Es geht um ein Interview, das ein Vorstandsmitglied des Islamischen Zentralrats Schweiz mit einem Islamisten in Syrien geführt hat.

In der Schweiz sind kriminelle Organisationen wie al-Kaida und verwandte Organisationen explizt verboten. Über den Sinn dieses Gesetzes spricht der rechtswissenschaftliche Doktorand Moritz Oehen.

Moritz Oehen

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Oehen doktoriert an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich über das Schweizerische Strafprozessrecht. Er war bis 2017 wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Dr. Marc Thommen der Universität Zürich.

SRF News: Wie beurteilen Sie das Gesetz?

Moritz Oehen: Aus Sicht der Wissenschaft ist es gewissermassen ein unnötiges Gesetz, weil es im Strafgesetzbuch bereits eine Bestimmung gibt, die dieselben Verhaltensweisen unter Strafe stellt. Zudem ist auch problematisch, dass es so weit gefasst ist. Das Gesetz ist für die Bürger schlicht nicht mehr abschätzbar.

Im vergangenen Jahr wurde ein Mann verurteilt, weil er die Reise nach Istanbul antrat und dann mutmasslich nach Syrien reisen wollte. Und das wurde bereits strafbares Verhalten ausgelegt, weil man gesagt hat, allein schon der Antritt der Reise habe Signalwirkung für allfällige weitere Personen gehabt. Das finde ich doch extrem weit und das stiess auch in der Wissenschaft auf Kritik.

Warum hat man das Gesetz überhaupt eingeführt?

Die Ursprünge dieses Gesetzes liegen eigentlich im Nachgang zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Es ging damals um einen Akt der Solidarität. Im Wesentlichen war es eine symbolische Geste gegenüber den anderen westlichen Mächten. Den Tatbestand der kriminellen Organisation gab es bereits seit 1993 und eigentlich könnte man Terrorismus ohne Weiteres auch unter diesem Tatbestand fassen. Aber der Bundesrat entschied sich für den Weg des Spezialverordnung. Das zeigt auch gegen aussen, dass die Schweiz die Tätigkeiten dieser Organisationen nicht toleriert.

Die Angeklagten, die in Bellinzona vor Gericht stehen, haben in Syrien ein Video mit einem Islamisten gemacht. Es sei ein Interview, wie sie selber sagen. Ist dies der erste Fall, in dem es um eine Art journalistische Leistung geht, die als Propaganda ausgelegt wird?

Soweit ich weiss, ist das der erste Fall. Und ich glaube, die Schwierigkeit wird sein, zu zeigen, ob das Video in einen journalistischen Gesamtkontext gestellt wurde, ob es auch kritisch eingebettet wurde. Dann könnte man meiner Meinung nach eher von einem journalistischen Beitrag sprechen. Wenn es aber einfach darum ging, die Botschaft des Partners weiter zu verbreiten und ihm eine Plattform zu bieten, dann sieht das nach Propaganda aus.

Es kann eine heikle Unterscheidung sein. Man muss sehr genau hinschauen?

Da bin ich absolut einverstanden. Es stellt sich auch die Frage: Was wäre, wenn etablierte Medien dieses Interview geführt hätten? Ich glaube, entscheidend werden nicht unbedingt die Aussagen im Interview selbst sein, sondern wie mit diesen Aussagen umgegangen wurde und wie die Aufbereitung dem Publikum zugänglich gemacht wurde. Das wird einer der Knackpunkte sein.

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