Geschlagen, gedemütigt, gequält – wenn die Belastung für Betreuende von älteren Menschen zu hoch wird, kann dies in Gewalt enden. Überforderung bei Betreuungspersonen ist keine Seltenheit, doch trotzdem spricht kaum jemand über Gewalt im Alter – es ist ein Tabuthema.
Eine Angehörige, die sich bei der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter (UBA) Hilfe geholt hat, erzählt uns von der Situation ihrer Mutter: «Wir waren Zeugen von Situationen, wo mein Bruder sie erniedrigt hat. Das hat sich in einem Kontrollwahn geäussert. Er hat ihr Telefon kontrolliert. Sie durfte nicht mit Freunden und Nachbarn reden und er hat sie dann auch eingesperrt.» Der Sohn hatte seine Mutter immer wieder psychisch und körperlich misshandelt.
Viele Betroffene in der Schweiz
Diese Geschichte ist kein Einzelfall. Ein Bericht des Bundesrates zeigt: Die Betroffenenzahl in der Schweiz ist hoch. Laut Studien sind in der Schweiz jährlich 300’000 bis 500'000 Personen über 60 von mindestens einer Form von Gewalt betroffen. Dies entspricht etwa jeder fünften älteren Person. Der Bund geht zudem davon aus, dass «das Ausmass der Gewalt und Vernachlässigung im Alter allgemein unterschätzt wird». Denn die Dunkelziffer sei hoch: Viele Fälle werden gar nicht erst gemeldet oder nie aufgedeckt. Nur die wenigsten Betroffenen suchen sich Hilfe. Die nationale Hotline «Alter ohne Gewalt» verzeichnete 2020 beispielsweise nur 200 Meldungen.
Neben körperlicher und sexueller Gewalt handelt es sich in den meisten Fällen um psychische Gewalt. Auch finanzieller Missbrauch ist häufig, wobei es sich beispielsweise um den Entzug von Geld handelt. Die meisten Vorfälle finden dabei nicht im Altersheim, sondern im häuslichen Umfeld statt. Ältere Frauen und Männer sind gleich stark betroffen und die Gewalt wird sowohl von Partnern, Kindern, Eltern und auch anderen Verwandten ausgeübt. Die Gründe der Gewalt sind vielfältig. Klar ist aber, dass die Überforderung der Betreuenden eine wichtige Rolle spielt.
Politischer Aufwind für das Thema
Die hohe Betroffenenzahl erhält in der Politik zunehmend Aufmerksamkeit. Die Luzerner Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler (Die Mitte) hat diesen Juni im Parlament einen Vorstoss eingereicht, der parteiübergreifend unterstützt wurde. Darin beauftragt sie den Bundesrat, ein Impulsprogramm zur Prävention von Gewalt im Alter zu realisieren. Bestandteile des Programms sind beispielsweise die Entlastung der betreuenden Angehörigen und die Stärkung der bisherigen Angebote. Schon 2020 hat der Bundesrat dem EDI den Auftrag gegeben, abzuklären, ob ein solches notwendig sei.
Es gibt diese Angebote, aber meistens wissen die Leute das nicht, wenn sie dann wirklich Hilfe nötig haben.
Laut Glanzmann-Hunkeler brauchte das Innendepartement diesen Sommer erneut einen Anstoss, um den Auftrag wahrzunehmen. Der Entscheid, ob das Impulsprogramm zustande kommt, könnte aber noch länger dauern. Der Bundesrat hat das Geschäft wegen der Pandemie auf Ende nächstes Jahr verschoben.
Vorhandene Angebote sind meist unbekannt
In der Schweiz gibt es schon einige Beratungsstellen für das Alter wie die UBA, die nationale Hotline oder auch Pro Senectute. «Es gibt diese Angebote, aber meistens wissen die Leute das nicht, wenn sie dann wirklich Hilfe nötig haben», betont Glanzmann-Hunkeler. Auch die Vernetzung der Kantone und niederschwellige Angebote in den Gemeinden fehlen, erklärt die Nationalrätin. Konkret stellt sie sich Tagesplätze für die Betreuung oder Ansprechpartner in den Gemeinden vor. Wichtig sei Entlastung, «damit man, wenn man an die Grenzen kommt, wirklich wieder etwas Zeit für sich selbst hat».