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2010 feiern Adolf Ogi und Moritz Leuenberger bei Sedrun den Durchbruch der Bohrmaschine «Sissi» durch den Gotthard.
Legende: «Schutzpatrone» des Gotthard-Basistunnels: Adolf Ogi, die Heilige Barbara und Moritz Leuenberger. Keystone/ARCHIV

Gotthard Der Diplomat und der Visionär

Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels ist für die Altbundesräte Moritz Leuenberger und Adolf Ogi das Ende einer Reise. Lange Jahre haben die Neat-Väter um das Jahrhundertprojekt gekämpft – bis aus einer Utopie Realität wurde. Gemeinsam blicken sie zurück.

Opfer des Gotthards

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Beim Bau des Gotthard-Basistunnels verloren 9 Menschen ihr Leben. Wer waren die 9 Verunglückten ?

«Freude herrscht», Adolf Ogis Bonmot ist mittlerweile ein Stück Schweizer Kulturgut. Und mit Blick auf die feierliche Eröffnung des grössten Eisenbahntunnels der Welt könnte es treffender nicht sein. Doch nicht immer war die Gotthard-Euphorie so gross wie heute: «Der begeisternde Blick nach vorne fehlt», klagte der Berner Magistrat in der Neat-Debatte von 1991 im Nationalrat: «Meine Damen und Herren, Sie sind es, die heute über das Jahrhundertwerk entscheiden.»

25 Jahre später blickt der Verkehrsminister a.D. zurück. Und es scheint, als wären der Berner und sein Zürcher Nachfolger Moritz Leuenberger erst am 1. Juni 2016 so richtig im verkehrspolitischen Ruhestand angekommen: «Wir haben beide gelitten mit dem Projekt, unermüdlich daran gearbeitet, mussten Überzeugungsarbeit leisten. Wenn dann der Moment kommt, in dem man realisiert: ‹Jetzt gelingts!›, kann man die Emotionen nicht mehr kanalisieren.»

«Dölf chum!»

Der wohl emotionalste Moment im Ringen um das geschichtsträchtige Bauwerk war, wie Ogi schildert, 2010: Damals gelang der Bohrmaschine «Sissi» der Durchstich durch den mythenumwobenen Berg. Und es kam, wie Ogi zurückblickt, zu einer für beide Charaktere untypischen Geste: Der Umarmung der beiden Bundesräte. «Dölf chum! hat Moritz mir zugerufen. Wir hatten beide Tränen in den Augen.».

Die beiden langjährigen Verkehrsminister vereint eine gemeinsame Geschichte. Beide vertraten sie das Neat-Dossier gegen Widerstände: Finanzielle Unwägbarkeiten, Lobby-Interessen von Bahn- und Strasse; regional- und europapolitische Begehren – all das galt es zu überwinden. Und am Ende stand für beide Magistraten eine erlösende Volksabstimmung.

Der Tunnel ist ein Kind der direkten Demokratie.
Autor: Altbundesrat Leuenberger
Moritz Leuenberger und Adolf Ogi im Tagesgespräch von SRF, am 31.6.16 in Bern.
Legende: Die politischen Väter der Neat: Die Alt-Bundesräte Moritz Leuenberger und Adolf Ogi. SRF

1992 stimmte die Schweizer Bevölkerung unter Verkehrsminister Ogi dem Alpentransit-Beschluss zu; 1998 segnete das Stimmvolk unter seinem Nachfolger Leuenberger die Finanzierungsgrundlage ab. Beide Male mit satten 64 Prozent Zustimmung. «Der Tunnel ist ein Kind der direkten Demokratie», sagt denn auch Moritz Leuenberger.

Hier hallen die bedeutungsschweren Worte, die der Zürcher Altbundesrat beim Gotthard-Durchstich von 2010 sprach, nach: «Der Berg ist gross, wir sind klein. Gemeinsam haben wir Grosses gewagt. Gestern wollten wir den Berg versetzen. Heute durchbohren wir ihn und schaffen den längsten Tunnel der Welt (…) Nur eine politische Gemeinschaft ist dazu in der Lage.»

Am Anfang des «gewaltigen Werks» stand für Leuenberger, wider alle Zweifler, das Stimmvolk: «Trotz heftiger Diskussionen sagten die Stimmbürger zu allen Vorlagen konsequent Ja. Das beeindruckt mit heute noch. Und das beeindruckt auch unsere Nachbarn.» Grossprojekte wie der Flughafen Berlin-Tegel, «Stuttgart 21» oder der Tunnel zwischen Italien und Frankreich schürten im Ausland Zweifel an der Effizienz demokratischer Prozesse – im Gotthard sieht der ehemalige SP-Bundesrat den Gegenentwurf dazu.

Ogi und Leuenberger bei der Eröffnung des Lötschbergtunnels 2005
Legende: Etappenziel erreicht: Baumeister Ogi und Leuenberger bei der Eröffnung des Lötschbergtunnels 2005. Keystone/Archiv

Massgeblichen Anteil am Erfolg des wagemutigen Projekts hatte für den heute 69-Jährigen der Enthusiasmus seines Vorgängers: «Damit hat er das Projekt ins Rollen gebracht. Er konnte die Leute begeistern. Sein Enthusiasmus war ansteckend für die Stimmbürger, aber auch die Parlamentarier.»

«Unglaublichen Durchhaltewillen» attestiert Ogi, heute 73-jährig, derweil seinem Nachfolger: «Es war wie ein Stafettenlauf: Die LSVA, die Probleme mit der Streckenführung, die komplizierten Verhandlungen mit den Kantonen und Europa, die Finanzierung. Moritz musste all das zusammen führen.» Das habe, so der ehemalige Sonderberater der UNO, ungemeines diplomatisches Geschick gebraucht.

Ende eines Generationenprojekts

Und was bleibt für die Neat-Väter, nach Jahrzehnten der Überzeugungsarbeit, des Hoffens und des Bangens? Moritz Leuenberger fasst zusammen: «Die italienische und die Deutschschweiz rücken in Pendlerdistanz. Wie schon mit dem Lötschbergtunnel, der das Wallis und Bern näher zusammen gebracht hat. Die nachhaltige Verlagerungspolitik von der Strasse auf die Schiene wird Tatsache. Wir werden nicht, wie befürchtet wurde, mit europäischen Lastwagen zugeschüttet. Und wir leisten für ganz Europa einen Beitrag bei der Infrastruktur.»

Heute nun erleben drei Verkehrsminister die Eröffnung des grössten einzelnen Verkehrsbauwerk der Welt – ein Generationenprojekt: Planer Ogi, «Bohrmeister» Leuenberger, und Doris Leuthard, die feierlich eröffnen darf. 70 Jahre nachdem der Basler Ingenieur Eduard Grüner seine visionären Pläne zu Papier brachte, ist aus einer Utopie Wirklichkeit geworden.

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