Dass der Gotthard-Basistunnel ein gewaltiges Thema ist, weiss das Redaktionsteam um Stefan Nellen vom Bundesarchiv wohl besser als manche Politiker. Ein halbes Jahr lang hat der Historiker mit Fachkolleginnen und - kollegen, einem Geographen, einem Soziologen und IT-Experten Archive durchforstet, Akten gewälzt, 49 Meilensteine ausgewählt und mit historischen Dokumenten illustriert. Herausgekommen ist das Alptransit-Portal in Videos, Tönen und Texten, das seit heute online ist.
«Wir haben viel mehr Material gesichtet als wir aufgeschaltet haben», sagt Nellen. Doch schon die Version 1.0 des Portals ist eine Fundgrube für Tunnel- und Bahn-Enthusiasten, die sich durch die Geschichte der Neat klicken möchten. Von den ersten Ideen um 1950 geht es über den Planungsbeginn mit sechs Varianten (siehe Bildergalerie oben) bis zum Beschluss, den längsten Tunnel der Welt durch das Gotthardmassiv zu treiben. Und vom Zank um die Kosten über das Dröhnen der ersten Bohrmaschinen bis zum Durchstich am 15. Oktober 2010.
Anekdoten und wagemutige Visionen
Exakte Karten dokumentieren die verzwickte Aufgabe, sich für eine Linienführung zu entscheiden. Videos zeigen Akteure wie Bundesrat Otto Stich, der die Lötschberg-Röhre verhindern wollte, und seinen Regierungs-Rivalen Adolf Ogi: Im September 1992 warb er mit einer unvergesslichen Rede vor der Kirche von Wassen für ein Ja des Stimmvolks zur Neat. Die Vorlage wurde schliesslich mit 63,6 Prozent klar angenommen.
Daneben findet sich Wissenswertes zum Gotthard. Die Rubrik «Gesellschaft» zeigt etwa, was Schriftsteller wie Karl May oder der spätere Nobelpreisträger Carl Spitteler über die Gotthard-Tunnel schrieben.
Historiker Nellen fasziniert freilich auch ein anderes Dokument aus der «Frühgeschichte»: ein Science-Fiction-Aufsatz des Ingenieurs Eduard Gruner von 1947 in der Zeitschrift «Prisma».
Darin entwirft er die Vision eines Gotthard-Basistunnels als Teil eines «Europa-Afrika-Express» – mit einem Lift bei der Tunnelstation Sedrun, der Fahrgäste hinauf in ein mondänes Skigebiet bringen sollte.
«Da ist die Idee der Porta Alpina also schon skizziert», sagt Nellen. Doch mit anderen Ideen lag der Verfasser denkbar falsch – zum Beispiel der Vision, dass ein Gotthard-Tunnel von Amsteg nach Biasca Flüge in Zentraleuropa überflüssig machen würde.
«Das wird sich wohl kaum bewahrheiten», sagt Nellen, «aber es ist faszinierend, was Gruner mit seiner kleinen Science-Fiction alles vorweggenommen hat.»
Details in Dutzenden Dokumenten
Für passionierte Stöberer enthält das Portal nicht nur Erklärvideos zum Tunnelbau, sondern auch Grafiken zu Volksabstimmungen, Bundesratsbeschlüsse, Kostenschätzungen und weiteres Material.
Es soll noch mehr werden, denn die Datenbasis wird Schritt für Schritt mit weiteren Unterlagen vergrössert. Dann soll eine Suchfunktion es auch erlauben, in den Unterlagen selbst zu recherchieren – nicht nur in den redaktionellen Texten und Metadaten, wie in der aktuellen Startversion.
Eine Quelle nicht nur für Bahnliebhaber, sondern künftig auch für Experten? «Ja, das ist so geplant», sagt Nellen, «unser Ziel ist, die Informationen so vollständig wie möglich ins Netz zu stellen. Dann könnten Fachleute wie Historiker oder Ingenieure dort recherchieren – und neue Geschichten entdecken.»