Zum Inhalt springen

Grünes Anliegen in der Kritik Zersiedelungsinitiative: zu radikal, zu kompliziert

«Planungsblödsinn», «Wohlstands-» und «Totalverhinderungsinitiative»: Der Ständerat findet harte Worte für die Vorlage.

Das fordern die Initianten: Geht es nach der Initiative «Zersiedelung stoppen – für eine nachhaltige Siedlungsentwicklung», soll es nur noch neue Bauzonen geben, wenn woanders mindestens eine gleich grosse Fläche mit vergleichbarer Bodenqualität ausgezont wird. Ausserhalb der Bauzonen sollen nur noch Bauten für bodenabhängige Landwirtschaft oder standortgebundene Bauten von öffentlichem Interesse bewilligt werden. Zudem sollen Siedlungen vermehrt nach innen entwickelt werden – das Bauen also verdichtet werden.

Kleine Papphäuschen auf dem Bundesplatz
Legende: Weniger bauen, mehr verdichten: 2015 wurde die Initiative von den Jungen Grünen lanciert. Keystone

Empfehlung des Ständerats: Eine Mehrheit von 34 Ständeräten lehnt die Volksinitiative ohne Gegenvorschlag ab und schliesst sich so dem Bundesrat und der vorberatenden Kommission an. 2 stimmten dafür, 9 enthielten sich.

Argumente der Mehrheit: Ein Stein des Anstosses ist das schlechte Timing: 2013 hiess das Stimmvolk bereits eine Verschärfung des Raumplanungsgesetzes (RPG) gut. Dieses sieht vor, dass zu grosse Bauzonenreserven verkleinert werden müssen. Seine Umsetzung ist im Gang und zeigt offenbar bereits Wirkung, wie Roland Eberle (SVP/TG) ausführte. Ihm ist die «Totalverhinderungsinitiative», wie er sie in der Debatte in der kleinen Kammer nannte, zu radikal und zu starr.

Es ginge den Initianten darum, das «endliche Gut Boden zu schützen». Doch im Unterschied zum Raumplanungsgesetz würden Bauzonen auf unbegrenzte Zeit «eingefroren». Das schaffe ungleiche Spiesse, kritisierte Eberle. Denn so entstünden sogenannte «Sonnen- und Kellerkinder»: Kantone, die das RPG noch nicht voll umgesetzt hätten, erhielten bei einer Annahme mehr Spielraum. Das erhöhe andernorts den Druck auf die Bodenpreise und führe zu unzulässigen Vor- und Nachteilen. Zudem fehle die Rechtssicherheit, wenn die Regeln mitten in der laufenden RPG-Umsetzung geändert würden.

DIe bisherigen Schritte der Vorlage

Box aufklappen Box zuklappen
Übergabe der Unterschriften
Legende: Keystone
  • Die Zersiedelungsinitiative wurde am 21. Oktober 2016 mit 113'216 gültigen Unterschriften eingereicht. Unterstützt wird sie von Grünen, Juso, Alpeninitiative, umverkehR, weiteren Jungparteien und Organisationen. Sie will erreichen, dass die Bauzonen in der Schweiz nicht mehr weiter zunehmen.
  • Der Bundesrat beantragt den Räten, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen. Er ist der Auffassung, das Raumplanungsgesetz (RPG) wirke der Zersiedelung schon genug entgegen. Zudem nehme die Initiative zu wenig Rücksicht auf kantonale Unterschiede.
  • Die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) hat mit 8 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen beschlossen, keinen Gegenentwurf zur Zersiedelungsinitiative auszuarbeiten, und empfiehlt die Initiative mit 8 zu 1 Stimmen bei 3 Enthaltungen abzulehnen.

Die Ratskollegen Werner Luginbühl (BDP/BE) und Damian Müller (FDP/LU) waren sich einig: Die Zersiedelung sei ein Problem, ja, doch dieses werde bereits mit dem Raumplanungsgesetz angegangen. Deshalb – und wegen des faktischen Verbots neuer Bauzonen – lehnten sie die Volksinitiative ab.

Beat Rieder (CVP/VS) hält die «Wohlstandsinitiative», wie er sie bezeichnet, für chancenlos. Er zog den Vergleich zur Eco-Pop-Initiative, die 2014 an der Urne scheiterte. Beide teilten einen radikalen Planungsansatz; das «Null-Prozent-Wachstum». «Es geht um den Stopp der Immigration», erklärte der Walliser. Denn bei zehn Millionen Einwohnern seien die Bauzonenreserven dereinst ausgeschöpft. Die Beschränkung der Bauzonen würde bei einer Annahme der Initiative aber für ewig gelten. Die Kompensation mit Kantonen, die weniger dicht besiedelt sind, hält er für einen «Planungsblödsinn».

Mildere Töne fand Pascale Bruderer-Wyss (SP/AG): Viele Aspekte der Initiative seien unterstützungswürdig. In einem Punkt gehe sie aber zu weit: beim Einfrieren der Bauzonen. Die Kompensation erscheine ihr kompliziert und aufwändig. Und das Ganze werde den aktuellen Bestrebungen der Kantone nicht gerecht, deshalb enthalte sie sich.

Argumente der Minderheit: Robert Cramer (Grüne/GE) sitzt im Initiativkomitee. Das Bauen ausserhalb von Bauzonen sei für ihn eine rote Linie, sagte er. Deshalb habe die Initiative seine Unterstützung. Das Raumplanungsgesetz mache die Initiative nicht überflüssig. Im Gegenteil: Dieses sei lückenhaft. Die Initiative hingegen sei definitiv: Statt einer Neubeurteilung in 15 Jahren würden Bauzonen nie mehr ausgeweitet.

«Das ist radikal, neu, anspruchsvoll und kompliziert umzusetzen», gibt auch Cramer zu, «aber mit etwas Kreativität nicht unrealistisch». Wenn in bestehenden Bauzonen verdichtet gebaut würde, böte dies Platz für 1 bis 1,7 Millionen mehr Menschen, rechnet er vor. Aber bei der Vorlage gehe es letztlich um die Frage: «Wollen wir unser Land weiter zubetonieren oder nicht?»

Die Position des Bundesrats: Bundesrätin Doris Leuthard gab zu: «In der Vergangenheit haben wir nicht immer mit klugen Entscheiden bei der Raumplanung geglänzt. Bei der RPG-Revision aber schon.» Mit der Initiative werde nun erneut Druck aufgebaut. Dabei bräuchten Umsetzungsprozesse Zeit.

«Das RPG, das seit 1. Mai 2014 in Kraft ist, bietet heute schon genügende Grundlagen für Verdichtung und kurze Verkehrswege. Auch die Siedlungsentwicklung nach innen wurde aufgenommen», erklärte Leuthard. Die Umsetzung sei im Gang. Elf kantonale Richtpläne habe der Bundesrat bereits genehmigt. Bis April 2019 haben die restlichen Kantone noch Zeit.

So geht es weiter: Als nächstes befindet der Nationalrat über die Vorlage.

Meistgelesene Artikel