Es ist früher Nachmittag auf der Baustelle in Hermrigen im Berner Seeland. Die junge Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt ist gerade daran, ein Ablaufrohr zu montieren, das vom Stalldach herunterführt.
Mit der Bohrmaschine geht sie behände um. Die Dachdeckerin wischt sich den Schweiss von der Stirn. Es sind gut 30 Grad. Trotzdem lacht Jasmin Tüscher, die Hitze ist der 23-Jährigen lieber als Dauerregen. Sie schiebt ihre blaue Plastikbrille zurecht und erklärt: «Normalerweise ist das Ablaufrohr aus demselben Material wie der Dachkännel. Aber hier unten laufen stets Kühe vorbei, deshalb montiere ich ein PVC-Rohr. Dann gibt es keine Beulen.»
Jetzt, am Nachmittag, ist die Dachdeckerin mit Spenglerarbeiten beschäftigt. Vor einem Jahr hat sie nämlich ihre zweite handwerkliche Lehre begonnen: Jene zur Spenglerin. Weil Dachdecker- und Spenglerarbeiten ineinander fliessen, habe sie so später besser Aufstiegschancen, erklärt sie.
Am Morgen hat sie mit einem Kollegen die schweren Eternitplatten auf der Holzkonstruktion des Stalldachs verlegt. Wie schafft man es als Frau, so schwer zu schleppen? «Zu Beginn meiner Lehre konnte ich nicht so schwer heben und habe jemanden gerufen. Aber wenn man es will, dann gehts.»
Es sei eine Einstellungsfrage – «eine Sache des Kopfs», sagt sie. Den ganzen Tag Ziegel tragen sei das Härteste. «So ein Ziegelbund ist fast 23 Kilo schwer. Je nach Neigung des Dachs, so ab 45 Grad, geht es in die Beine.» Sie trage die Ziegel immer auf der Schulter. Das gebe wunde Stellen.
Auch das Aufstellen der Gerüste zählt nicht zu ihren Lieblingstätigkeiten. Das sei eine wahre Plackerei. Grundsätzlich glaubt Jasmin Tüscher aber, dass Frauen genau gleich gute Handwerkerinnen sein können wie Männer.
In den Schoss gefallen ist ihr die Lehrstelle als Dachdeckerin allerdings nicht. Denn eine Frau als Dachdeckerin konnte sich der Chef des ersten Betriebes, bei dem sie sich beworben hat, nicht vorstellen – weil sie eine Frau ist. «Er hatte Angst, ich breche meine Lehre ab.» Die Lehre abbrechen, weil Familie kommt: Das ist ein Vorurteil, das bei vielen Chefs noch in den Köpfen sitzt.
Bei der zweiten Bewerbung klappte es dann. 2015 schloss sie ihre Lehre als eine von drei Frauen schweizweit erfolgreich ab. Auf den Beruf der Dachdeckerin aufmerksam wurde sie, als ihre Eltern 2011 auf dem Hof das Dach ersetzten. Sie half mit – und sass zum ersten Mal auf einem First und schaute ins Land: «Die Aussicht war das, was mich packte.»
Ich habe bisher nie etwas Negatives im Betrieb erlebt.
Obwohl sie als Frau auf den Baustellen fast immer nur unter männlichen Kollegen ist, habe sie dort bisher weder Sexismus noch Anmache erlebt. «Ausser, als es ums Bewerben ging», sagt sie. Ihre Kollegen wüssten aber auch, dass sie zupacke und hart arbeite. Gebe es mal nur ein dreckiges Toitoi, frage sie einfach den Bauherrn, ob sie das WC im Haus benutzen dürfe.
Sie geniert sich nie, zu fragen. Natürlich höre sie auf Baustellen manchmal blöde Sprüche, gibt die Handwerkerin zu. Doch die gebe es überall. «Wir haben ein kollegiales Verhältnis untereinander und ich fühle mich wohl.»