Altstadt von Olten, eine grosse Duplexwohnung im vierten Stock. Auf der einen Seite sieht man historische Häuser, auf der anderen schweift der Blick über die Aare. Hier wohnen Chantal Müller und Beat Häfeli. Ihre Abstimmungscouverts haben beide schon abgeschickt. Natürlich hätten sie der CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe zugestimmt, sagt Müller. «Als wir vor zweieinhalb Jahren heirateten, war uns bewusst, dass wir deswegen mehr Steuern bezahlen. Aber das ist einfach nicht gerecht.»
«System sollte für alle gerecht sein»
Die Buchhalterin, die auch für Bekannte Steuererklärungen ausfüllt, kann genau beziffern, um wie viel höher die Steuerrechnung durch ihre Heirat ausfällt. «Wir zahlen gut 4000 Franken mehr Steuern, weil wir verheiratet sind.» Insgesamt liefern die beiden pro Jahr dem Steueramt 45'000 Franken ab. Entsprechend gut verdienen sie in ihren Jobs. Sie arbeiten in Leitungspositionen an zwei Schulen.
Linke Politikerinnen und Politiker kritisieren denn auch, die CVP-Initiative sei vor allem für die Reichen. Häfeli lässt dieses Argument nicht gelten: «Unser Steuersystem sollte grundsätzlich für alle gerecht sein.»
Als ungerecht empfinden jedoch Kritikerinnen und Kritiker die Initiative, weil sie die Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert. Die Homo-Ehe wäre damit definitiv vom Tisch, lautet die Befürchtung. Müller hat dafür Verständnis. Aber die Verfassung könne ja später wieder angepasst werden. «Das hat primär nichts mit dieser Abstimmung zu tun.»
Weniger AHV-Rente
Müller ist 49, Häfeli 54 Jahre alt. Sie werden noch einige Jahre arbeiten. Mit der Pensionierung warte aber bereits die nächste Ungerechtigkeit, sagen sie. Denn die AHV bezahlt Ehepaaren höchstens 150 Prozent der Maximalrente. Konkubinatspaare erhalten bis zu 200 Prozent.
Müller und Häfeli wären enttäuscht, wenn die Initiative am 28. Februar abgelehnt würde. «Ich könnte es nicht nachvollziehen», sagt Müller. Einen Trost gäbe es für sie: Der Bundesrat will, unabhängig von der Initiative, Zweiverdiener-Ehepaare bei den Bundessteuern – wo die Heiratsstrafe heute fast ausschliesslich besteht – entlasten. So oder so: «Wir würden uns bei einem Nein nicht scheiden lassen», sagt Häfeli.