Deutschland nimmt Twitter, Facebook und weitere Online-Plattformen in die Pflicht: Sie müssen mutmasslich illegale Inhalte wie Aufrufe zur Gewalt, Rufmord oder Hetze neuerdings innert 24 Stunden löschen, wenn sich jemand darüber beschwert. Tun sie es nicht, drohen ihnen Bussen in Millionenhöhe.
In der Schweiz sind die Regeln deutlich weniger streng, doch der Ruf nach einem härteren Kurs gegen den Hass im Internet wird auch hierzulande lauter.
So fordert etwa der Genfer SP-Nationalrat Manuel Tornare ein solches Gesetz. Es könne nicht so weitergehen, wie bisher, sagt Tornare: «Sonst leben wir bald in einer Gesellschaft des Hasses und des Misstrauens.» Der Genfer will ähnlich strenge Regeln wie in Deutschland.
Es ist sehr heikel, wenn Private entscheiden, wann die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit verletzt werden.
Doch davon will der Bundesrat nichts wissen. Erst vor wenigen Wochen hat er das deutsche Modell kritisiert: Dass Internet-Firmen allein gestützt auf Meldungen aus der Bevölkerung per Gesetz Inhalte löschen müssen, geht der Landesregierung zu weit. «Es ist sehr heikel, wenn Private entscheiden, wann die Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit verletzt werden», sagt Ingrid Ryser vom Bundesamt für Justiz.
Ein solcher Entscheid brauche «gute Abklärungen». Deshalb sei der Bundesrat der Ansicht, dass ein Entscheid zur Löschung eines Kommentars «zwingend von einem Gericht» gefällt werden müsse. In der Schweiz funktioniert das bereits heute so: Wer sich verletzt fühlt durch eine Facebook-Nachricht oder einen Tweet, der kann vor Gericht ziehen.
Facebook & Co. löschen eher zu viel
Das sei der richtige Weg, sagt auch Martin Steiger. Er ist Sprecher des Vereins «Digitale Gesellschaft». Für ihn bedroht es die Meinungsäusserungsfreiheit im Netz, wenn Internet-Konzerne unter Androhung von Bussen für Löschungen verantwortlich gemacht würden. «Es besteht so ein Anreiz für Facebook, Google & Co., im Zweifelsfall zu löschen», hält Steiger fest. Die umstrittenen Kommentare würden also nicht sorgfältig geprüft, sondern vorsorglich gelöscht, um auf der sicheren Seite zu sein.
Steiger ist Anwalt und vertritt Opfer von Hass-Kommentaren im Internet. Er betont, dass die derzeit geltenden Schweizer Gesetze genügten. Das einzige Problem sei, dass die meisten Social-Media-Anbieter ihren Sitz im Ausland hätten. Er schlägt deshalb vor, dass die grösseren Anbieter eine Niederlassung in der Schweiz gründen müssen.
Dabei gehe es darum, dass die Anbieter in der Schweiz direkt kontaktierbar wären. Heute dagegen müsse man einen langwierigen und aufwendigen Umweg über die Rechtshilfe nehmen, wenn es um möglicherweise gesetzeswidrige Hasskommentare geht.
Domizil in der Schweiz als Pflicht?
Ähnliche Forderungen haben SP-Politiker im National- und Ständerat deponiert. Anders als Steiger wollen sie die Konzerne zudem dazu verpflichten, den Strafverfolgungsbehörden bei Bedarf direkt die Daten ihrer Nutzer zu übermitteln. Doch der Bundesrat ist skeptisch: Eine Pflicht für ein Domizil in der Schweiz lasse sich kaum durchsetzen, sagt Ingrid Ryser vom Bundesamt für Justiz.
Hinzu kommt: Selbst wenn ein Social-Media-Anbieter einen Sitz in der Schweiz hätte, seine Daten aber im Ausland speicherte, müsste die internationale Rechtshilfe in Strafsachen bemüht werden, so Ryser.
Trotzdem: Das Parlament wird wohl noch dieses Jahr über die Pflicht zur Niederlassungspflicht in der Schweiz abstimmen.