Am Montagnachmittag um halb drei Uhr stehen sie Schlange an der Gerechtigkeitsgasse mitten in Zürich. Es sind Obdachlose, AHV-Rentnerinnen und Flüchtlinge – und ihre Haustiere. Hier kümmert sich die Gassentierärztin Igna Wojtyna um die Tiere, impft sie oder schaut sich verletzte Pfoten an. Dies für wenig Geld, denn das Angebot des Sozialwerkes Pfarrer Sieber ist für diejenigen, die sonst keinen Tierarzt bezahlen könnten.
Ich arbeite in einem prekären Job. Ohne diese Unterstützung könnte ich mir den Hund nicht mehr leisten.
Einer von ihnen ist Timo, der die Medikamente für seinen Hund abholt, der Herzprobleme hat: «Ich arbeite in einem prekären Job, bei dem ich nicht so viel verdiene. Ohne diese Unterstützung könnte ich mir den Hund nicht mehr leisten.» So geht es allen, die hier warten. Denn sie müssen beweisen, dass sie Anspruch haben auf das Angebot: «Es braucht etwa eine Caritas-Karte oder einen Nachweis, dass jemand Sozialhilfe bezieht», sagt Mirjam Spring, die das Projekt leitet und aufgebaut hat.
In Zürich gibt es die mobile Tierklinik seit 20 Jahren. Dies, nachdem Mirjam Spring den Gassentierarzt in Berlin gesehen hatte: «Das Tier öffnet die Türe zu Menschen, die sonst nicht in die Beratung kämen. Deswegen dachte ich mir, das brauchen wir auch in Zürich.» Zuerst startete sie das Projekt in ihrer Freizeit mit einem ehrenamtlichen Tierarzt. Heute sei das Angebot aus der Stadt nicht mehr wegzudenken.
Das Tier öffnet die Türe zu Menschen, die sonst nicht in die Beratung kämen.
In einem mobilen Wagen impft die Tierärztin gerade den ersten Hund gegen Tollwut. Es drängen sich Leute vor der Tür, um zu fragen, wann sie dran sind. Zwei Hunde kommen sich in die Quere und bellen sich an. Die Helfer ziehen sie auseinander.
Trotz Armut sind die Tiere den Besitzern viel wert
Die meisten Tiere sehen gut aus, ihr Fell glänzt und sie tragen ein sauberes Halsband. Denn auch wenn die Besitzer arm seien, seien ihnen ihre Tiere viel wert, sagt Mirjam Spring. «Diese Menschen machen dafür auch Abstriche bei sich selbst, verzichten etwa auf Bier oder ein Pack Zigaretten.»
Aber wenn das Tier schwer erkranke, reiche das Geld oft nicht mehr, sagt die Projektleiterin. «Und dafür sind wir da, damit die Menschen ihr Tier nicht weggeben müssen, weil sie temporär in einer Notlage sind.» Deshalb können die Besitzerinnen hier auch gratis Futterrationen abholen.
Das Angebot wird rege genutzt. Früher kamen pro Woche 10 Tierbesitzer, heute sind es rund 90. Deshalb habe sich auch der Kontakt verändert, sagt Ramona, eine der freiwilligen Helferinnen: «Früher kannte ich die Sorgen und Nöte der Besitzerinnen, die Geschichte ihrer Tiere, aber heute bleibt dafür fast keine Zeit mehr.»
Eine andere Helferin ist Anna, eine Studentin aus der Ukraine. Sie vermittelt und übersetzt, denn viele der Anwesenden sind mit ihren Tieren vor dem Krieg geflohen: «Viele Tiere aus der Ukraine haben keine Impfungen, keine Dokumente oder sind nicht kastriert. Ich muss erklären, warum es das alles braucht in der Schweiz.»
Zucht trotz Armut unterstützt der Gassentierarzt nicht
Das verstehen nicht alle, es kann auch einmal laut werden im Mobil der Gassentierärztin. Abweisen muss Mirjam Spring die Leute allerdings nur selten. Dies passiere, wenn jemand mit jungen Hunden oder Katzen komme, die selbst gezüchtet sind, oder wenn ein Tier offensichtlich schlecht behandelt wird.
Gegen fünf Uhr wird es ruhiger auf dem Platz. Die Tierärztin verabschiedet gerade einen Pudel mit einem Verband am Fuss. Sie sagt dem Besitzer, er solle am Donnerstag zur Kontrolle kommen. Dann ist die nächste Sprechstunde der Gassentierärztin.