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Verurteilung wegen haarsträubender Lagerung hochgefährlicher Chemikalien in Seon AG
Aus Regionaljournal Aargau Solothurn vom 11.11.2022. Bild: Imago (Symbolbild)
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Hochgefährlicher Giftmüll Schlimmer Chemie-Unfall in Aargauer Dorf gerade noch verhindert

Jahrelang lagerten hochgefährliche Chemikalien in einer alten Fabrik. Nur durch Zufall gab es keine Katastrophe.

  • Im Keller einer stillgelegten Fabrikhalle in Seon AG vergammelten 25 Jahre lang tausende Fässer mit hochgiftigen und gefährlichen Chemikalien – offenbar ohne jede Aufsicht oder Kontrolle.
  • Laut einem Strafbefehl gegen den Besitzer der alten Fabrik bestand konkrete Gesundheits- und Lebensgefahr durch einen möglichen Austritt der Chemikalien.
  • Eine Vermischung der Stoffe hätte zu Explosionen und dem Austritt von giftigem Gas führen können. Ausserdem bestand die Gefahr einer schwerwiegenden Verschmutzung des Grundwassers.
  • Der Besitzer der Fabrik wurde nun zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilt. Er nahm die grosse Gefahr für Mensch und Umwelt wissentlich in Kauf.

Ein ziemlich kalter Schauer dürfte den Einwohnerinnen und Einwohnern des Aargauer Dorfes Seon – und wohl auch vielen anderen Leuten – über den Rücken laufen, wenn sie von einem aktuellen Strafbefehl der Aargauer Staatsanwaltschaft erfahren.

In der Halle einer stillgelegten Fabrik in einem Industriegebiet bei Seon, wo täglich hunderte Menschen arbeiten, lagerten über viele Jahre hochgefährliche Chemikalien. Die Details dazu sind erschreckend und werfen Fragen auf zur behördlichen Kontrolle gefährlicher Chemikalien.

Gefährliche Freisetzung jederzeit möglich

Die betroffene Fabrik, die gemäss Handelsregister in Herstellung und Vertrieb chemischer Produkte tätig war, wurde vor rund 25 Jahren geschlossen. Sie wurde damals aber weder geräumt noch wurde das Gebäude unterhalten, sondern einfach «dem Verfall überlassen», wie es im Strafbefehl heisst, den SRF einsehen konnte.

Gemäss Strafbefehl befanden sich im modrigen Keller rund 100 grosse Fässer à 200 Liter Inhalt und mindestens 3000 kleine und mittelgrosse Gebinde mit Chemikalien und anderen gefährlichen Stoffen. Zahlreiche Fässer waren nicht beschriftet oder nur mit Handzettel behelfsmässig angeschrieben, Gefahrenhinweise fehlten und es bestand die Gefahr von Verwechslungen.

Chemikalien des Grauens

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Im Keller der alten Fabrik lagerten unter anderem folgende, hochgradig giftigen Stoffe:

Kaliumcyanid, besser bekannt als Zyankali ist das Kaliumsalz der Blausäure. Es ist für Menschen und Tiere schon in kleinsten Dosen tödlich, sogar bei blossem Hautkontakt, ausserdem verursacht er neurologische Schäden. Der Stoff ist bei Zimmertemperatur kristallin und sehr gut wasserlöslich, was bei unkontrolliertem Austritt zu für Wasserlebewesen tödlicher Verschmutzung führen kann. In der chemischen Industrie findet das Salz vor allem Anwendung bei der Goldgewinnung und in galvanischen Bädern.

Natriumcyanid bezeichnet das Natriumsalz der Blausäure. Auch dieser Stoff ist bei Zimmertemperatur ein kristallines Pulver. Vermischt mit Säuren zersetzt es sich zum extrem giftigen Gas Blausäure (Cyanwasserstoff). Dieses Gas ist brennbar, sehr flüchtig und wasserlöslich. Es wurde unter anderem von den Nazis für die Massenmorde an den Juden in Konzentrationslagern verwendet.

Das äusserst giftige Gas Phosgen wurde ebenfalls schon als tödlicher Kampfstoff in Kriegen eingesetzt. Wissenschaftlich korrekt handelt es sich um Kohlenoxiddichlorid oder Carbonylchlorid. Das Gas zersetzt sich nach Einatmung in der Lunge zu Salzsäure. Wegen seiner hohen Toxizität wird Phosgen gemäss Wikipedia in der Industrie nur in hermetisch geschlossenen Kreisläufen verwendet.

Chlor: Das chemische Element kommt in der Natur nur in gebundener Form vor, zum Beispiel in Kochsalz (Natriumchlorid). In seiner reinen Form als Chemikalie ist Chlor gasförmig und hochgiftig und wurde auch schon als chemischer Kampfstoff eingesetzt. Zudem ist Chlor extrem reaktiv, das heisst, es geht mit nahezu allen anderen Stoffen chemische Verbindungen ein, was seine Gefährlichkeit ausmacht. Chlor gehört zu den wichtigsten Grundchemikalien der Industrie, die jährlich mehrere Millionen Tonnen des Gases produziert.

Unter den gelagerten Chemikalien befanden sich auch höchst-toxische Stoffe, lebensgefährliche Gase zum Beispiel oder Stoffe, die bei Hautkontakt oder Verschlucken zum Tod führen oder Krebs auslösen können (siehe Textbox oben). Mehrere der Behältnisse seien aufgrund der Feuchtigkeit in mangelhaftem Zustand gewesen und hätten jederzeit bersten und sich gefährlich vermischen können.

Gemeinde Seon überrascht und betroffen – Kanton schweigt

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Auf Anfrage bei der Gemeinde Seon zeigt sich Gemeindeammann Hans Peter Dössegger überrascht vom Ausmass des Falles. Man habe schon gewusst, dass in der Fabrik im Industriegebiet Chemikalien lagern, der Grossvater des heutigen Besitzers habe auch Versuche für die chemische Industrie gemacht dort. Dass es sich um so viel gefährliches Material handle, das sich dort befunden habe, das habe er aber nicht gewusst.

Zu Reden gab die Chemiefabrik trotzdem im Dorf, sagt Ammann Dössegger auf Anfrage von SRF: «Betriebe aus der Nachbarschaft haben kleinere Explosionen mitbekommen, dass vielleicht mal eine Scheibe geborsten ist, man hat das aber nicht als tragisch eingestuft.» Einen Feuerwehreinsatz habe es seines Wissens nie gegeben.

Auf Anfrage beim Kanton Aargau konnte am Freitag niemand Stellung nehmen zu den gefährlichen und unsachgemäss gelagerten Chemikalien in der alten Fabrik. Auch die Frage nach allfälligen Kontrollen der Chemiefabrik während ihres Betriebes oder nach ihrer Schliessung bleibt damit vorerst unbeantwortet.

Dadurch bestand laut Staatsanwaltschaft konkrete Gefahr für Menschen durch Vergiftungen und Verätzungen und auch für die Umwelt. Im Keller, wo die teils wassergefährdenden Chemikalien gelagert waren, fehlten vielfach die vorgeschriebenen Auffangwannen oder waren bereits voll. Zudem konnten Giftstoffe aus dem Keller direkt in die Kanalisation einfliessen.

Geldstrafe und Busse

Von diesem erschreckenden Zustand der Chemikalien und des Gebäudes hat der Besitzer laut Aargauer Staatsanwaltschaft gewusst. Er habe es aber unterlassen, den Zustand zu beheben, wodurch er «wissentlich das Leben und die Gesundheit anderer» sowie die Umwelt gefährdet habe.

Der knapp 60-jährige Mann mit Wohnsitz in Locarno wurde nun zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 220.- Franken sowie zu einer Busse von 7500 Franken verurteilt wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Chemikaliengesetz sowie wegen Vergehen gegen das Gewässerschutzgesetz. Der Mann hat das Urteil akzeptiert.

SRF 1, Regionaljournal Aargau Solothurn 06:31 Uhr;

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