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Portraitfoto der Professorin vor dunklem Hintergrund
Legende: Nikola Biller-Andorno leitet das Institut für Biomedizinische Ethik der Uni Zürich und kämpft für eine patientenorientierte Versorgung. SRF

Hohe Medikamentenpreise «Die teuerste Therapie muss nicht die bestmögliche sein»

Neue Therapien und Medikamente werden immer teurer. Manchen Patienten bleiben sie verwehrt. Skandal oder nicht?

SRF News: Packen wir den Stier gleich bei den Hörnern. Was ist ein menschliches Leben wert?

Nikola Biller-Andorno: Aus ethischer Sicht hat jeder Mensch einen unendlichen Wert. Das ist ein wesentlicher Gedanke hinter der Menschenwürde, die auch in unserer Verfassung einen besonderen Schutz geniesst. Personen stehen nicht zum Kauf oder Verkauf, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Geschlecht.

Und doch muss es eine Messgrösse geben, anhand derer sich beurteilen lässt, ob der Preis für eine medizinische Leistung gerechtfertigt ist oder nicht.

Ja, denn selbst in der Schweiz sind die Ressourcen endlich. Man kommt also nicht umhin, zu entscheiden, ob eine Behandlung Sinn macht oder nicht.

Nikola Biller-Andorno

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Prof. Nikola Biller-Andorno ist Medizinerin und Ethikerin und leitet das Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte IBEM an der Universität Zürich. Sie engagiert sich seit Jahren für eine angemessene, patientenorientierte Versorgung und ist unter anderem am SAMW-Projekt «Nachhaltiges Gesundheitssystem» beteiligt.

Rein ökonomische Kriterien wie «maximaler Nutzen bei minimalen Kosten» sind dafür aber wenig geeignet. Das ist zu kurz gedacht. Wir müssen schon auch schauen, wer von einer Massnahme profitiert und darauf achten, dass niemand aussen vor bleibt.

Herr und Frau Schweizer haben den Anspruch, jederzeit die bestmögliche Behandlung zu erhalten. Ist das nicht legitim?

Durchaus. Wir leben in einem reichen Land mit einer ausgezeichneten Gesundheitsversorgung. Das lassen wir uns 11 Prozent des Bruttoninlandprodukts kosten und haben entsprechende Erwartungen. Die teuerste Therapie muss aber nicht immer auch die bestmögliche sein.

Wie wird das festgestellt?

Dafür gibt es verschiedene Verfahren. Viele beziehen sich auf die sogenannten «Quality Adjusted Life Years». Ein QALY entspricht einem durch die Behandlung gewonnenen Lebensjahr, kombiniert mit der damit einhergehenden Lebensqualität. Ein einleuchtender Ansatz, denn was nützt mir gewonnene Lebenszeit, wenn ich kaum etwas davon habe?

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Positionspapiere

Die Relation «Kosten pro QALY» erlaubt Rückschlüsse auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer medizinischen Intervention. Das liefert noch nicht die Antwort auf die Frage, ob etwas im Rahmen der öffentlichen Krankenversicherung finanziert werden soll oder nicht, aber es verschafft eine erste Orientierung. Dieses Instrument wird auch von den Fachgremien des Swiss Medical Boards für die Erarbeitung ihrer Empfehlungen an die politischen Entscheidungsträger und die Leistungserbringer in der Schweiz genutzt.

Wird einem Patienten eine Therapie versagt, erscheint das oft unfair. Spielt Fairness in unserem Gesundheitssystem keine Rolle?

Fairness spielt sogar eine ganz zentrale Rolle! Wären unsere Ressourcen nicht ausreichend, müsste man über faire Einschränkungen diskutieren. In dieser Situation sind wir hierzulande glücklicherweise nicht. Aber wir haben viel Spielraum für einen effizienteren Einsatz der Mittel.

Wie gesagt, wir müssen nicht das Maximum an medizinischer Versorgung zum Massstab nehmen, sondern das, was tatsächlich Sinn macht. Soll beispielsweise ein Krebspatient mit voraussichtlich wenigen Monaten zu leben noch einmal eine Chemotherapie über sich ergehen lassen?

Wir müssen nicht das Maximum an medizinischer Versorgung zum Massstab nehmen, sondern das, was tatsächlich Sinn macht.

Unfair ist sicher, bei Betroffenen falsche Erwartungen zu schüren und an ihnen Eingriffe vorzunehmen, die keinen erwiesenen Nutzen haben – oder unter dem Strich sogar schaden. Mit diesen Themen befasst sich die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften SAMW, unter anderem im Positionspapier «Medizin und Ökonomie – wie weiter?»

Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen und steigen. Politik, Medizin und Krankenversicherer beklagen das gebetsmühlenartig, die Entwicklung wird aber letztlich hingenommen. Täuscht der Eindruck?

Der Mensch tendiert dazu, unangenehme Änderungen so lange wie möglich auf die lange Bank zu schieben...

Es gibt aber durchaus Initiativen, an der bestehenden Situation etwas zu ändern. Die Akademien der Wissenschaften Schweiz haben zum Beispiel eine Roadmap für ein nachhaltiges Gesundheitssystem in der Schweiz publiziert. Und erste Fachgesellschaften haben Negativlisten mit unnötigen Behandlungen herausgegeben. Die Empfehlungen des Swiss Medical Boards zielen in dieselbe Richtung.

Aus der Sicht des Arztes:

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«Anzeichen für eine Zweiklassenmedizin gibt es bereits jetzt», warnt Franco Cavalli, Chefarzt für Onkologie im Spital Bellinzona, im SRF-Interview. Mehr

Patienten und Ärzte werden laufend auf einen angemesseneren Umgang mit den medizinischen Möglichkeiten eingeschworen. Wie sieht es aber bei den Herstellern aus, deren Produkte Jahr für Jahr teurer werden?

Moralisch sind die natürlich in der Pflicht, ihre Produkte vernünftig einzupreisen, damit möglichst viele Patienten davon einen Nutzen haben können.

Moral und Ethik scheinen angesichts eines Milliardengeschäfts reichlich schwache Argumente.

Natürlich ist das Profitmotiv stark, und das Umdenken dauert manchmal eine gewisse Zeit.

Ich bin dennoch der Überzeugung, dass ein positiver Beitrag zum Gemeinwohl eine ganz wichtige Quelle von beruflicher Motivation und Zufriedenheit ist.

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Heute im Club um 22.20 Uhr auf SRF 1

Die Firmen wollen ja in einem gutem Licht und als Innovatoren gesehen werden und nicht als skrupellose Profiteure.

Wenn die Medien also einen Fall aufnehmen, wo eine sinnvolle neue Therapie aus Kostengründen versagt wird, erzeugt der öffentliche Unmut diesbezüglich grossen Druck. Das ist nicht zu unterschätzen.

Das Gespräch führte Franco Bassani

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