Ein leichtes Kratzen im Hals. Ein Husten. Kopfweh. Das könnte Corona sein. Wer sich viele Gedanken über seine Gesundheit macht und Angst vor Krankheiten hat, den nennt der Volksmund schnell mal einen Hypochonder. Hypochondrische Störungen sind als psychische Krankheit im Katalog der Weltgesundheitsorganisation WHO aufgeführt. Was ist noch gesund und was nicht mehr? Der Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Erich Seifritz, erklärt.
SRF News: Ist ein Hypochonder, wer bei einem Hüsteln gleich an Corona denkt und sich testen lässt?
Erich Seifritz: Nein, überhaupt nicht. In der heutigen Zeit ist es eine normal-psychologische Reaktion, sich damit auseinanderzusetzen. Es wird so viel über diese Erkrankung und deren Symptome gesprochen. Sie löst Verunsicherung und Ängste aus. Aber die Angst kann Krankheitswert erhalten, wenn sie sich von der realen Bedrohung entkoppelt.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Das kann ganz sachte mit einer gewissen Verunsicherung über eine körperliche Wahrnehmung oder einen Schmerz anfangen. In einem nächsten Schritt beschäftigt man sich mehr damit und liest vielleicht im Internet nach. Die Idee einer körperlichen Erkrankung kann immer stärker werden und das ganze Denken und Fühlen eine Person bestimmen. Das kann der Beginn einer hypochondrischen Entwicklung sein. Sie kann zu aufwendigen medizinischen Abklärungen bei verschiedenen Ärzten und medizinischen Disziplinen führen.
Wenn die Angst vor einer Erkrankung zum Wahn wird – ist das heilbar?
Es kann tatsächlich zu einer überwertigen Idee werden, welche die Person permanent beschäftigt, einschränkt und praktisch invalidisiert. Die Behandlung einer Hypochondrie im engeren Sinn ist fast ausschliesslich durch Psychotherapie möglich. Sie kann geheilt werden, aber sehr häufig bleiben Restsymptome mit einer Verunsicherung.
Hypochondrie ist an sich eine relativ seltene Erkrankung. Häufig kommen aber hypochondrische Ängste als Begleitphänomene von anderen psychischen Erkrankungen vor. Zum Beispiel von Angsterkrankungen und Depressionen. Diese Erkrankungen gehen mit einer grossen Verunsicherung der Person einher: Ängste bezüglich der Zukunft, der eigenen Person und Leistungsfähigkeit, des eigenen Schicksals. Damit verbunden sind naturgemäss sehr eng auch Ängste und Befürchtungen bezüglich der körperlichen Integrität.
In der Pandemie beobachten Sie an der Uniklinik nicht mehr hypochondrische Störungen als vorher. Hätten Sie das Gegenteil erwartet?
Man könnte das Gegenteil erwarten. Es zeigt sich aber eine gewisse Veränderung der Art und Weise, wie sich Krankheitsbilder präsentieren. Wir haben zum Beispiel einige Patienten, die psychotische Erkrankungen wie Schizophrenie haben. Deren Wahngedanken oder psychotischen Ängste konzentrieren sich mehr und mehr um das Thema Corona. Verschwörungstheorien sind relevant und Informationen aus zum Teil obskuren Internetseiten. Das sind aber nicht hypochondrische Erkrankungsbilder im engeren Sinn.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.