Es sind 130 Jahre Industriegeschichte, die in Hochdorf bald zu Ende gehen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die sogenannte Milchsüdi in der Luzerner Gemeinde zu Hause – direkt neben dem Bahnhof. Früher als Schweizerische Milchgesellschaft bekannt, ist der Industriebetrieb über die Jahre immer grösser geworden und mit der Dorfidentität verschmolzen. So stark, dass die Firma seit der Jahrtausendwende denselben Namen wie das Dorf trägt: die Hochdorf Swiss Nutrition AG.
Bald ist Schluss damit, der Milchverarbeiter stellt den Betrieb ein. Er produziert seine Trockenmilch-Produkte künftig nur noch im thurgauischen Sulgen. Hochdorf verlässt Hochdorf. «Eine solch identitätsstiftende Firma zu verlieren, ist ein herber Verlust», sagt Gemeinderat Reto Anderhub. «Und doch haben wir jetzt die Chance, etwas Neues zu erschaffen.»
«Grösser denken»
Die Gemeinde habe erkannt, dass sie auf dem frei werdenden Industrieareal die Zukunft des Dorfes gestalten könne. Die Hochdorfer Bevölkerung entschied, das Areal für über 60 Millionen Franken zu kaufen und selbst zu bestimmen, was daraus wird. Der nötige Kredit wurde an der Urne mit fast 88 Prozent Ja-Stimmen angenommen.
Nun will die Gemeinde darauf einen komplett neuen Dorfteil bauen – mit Dorfzentrum, Wohnungen, Gewerbeflächen, Cafés und Restaurants. Die Überbauung hat eine Dimension, wie man sie sonst nur von grösseren Städten kenne. «Wir haben kürzlich die Grösse von 10'000 Einwohnern erreicht», sagt Reto Anderhub dazu. Er ist als Gemeinderat zuständig für die Entwicklung des Projekts. «Jetzt dürfen wir grösser denken.»
Enge Zusammenarbeit mit Bevölkerung
Aussergewöhnlich ist auch, wie die Gemeinde die Entwicklung angeht. Einerseits, weil sie das Areal selbst gekauft und nicht einem Investor überlassen hat. Andererseits, weil sie die Bevölkerung bei der Planung stark miteinbezieht. Mit Workshops und Online-Befragungen holt sie bei den Leuten ab, was ihnen wichtig ist bei diesem neuen Dorfteil.
«Es soll grün sein und Sonnen- wie auch Schattenplätze haben. Man soll verweilen können. Das ist den Leuten wichtig», sagt Anderhub. Die Architekturbüros, welche nun am neuen Dorfteil planen, hätten entsprechende Anweisungen bekommen.
Projekt mit Vorbildfunktion
Von der Expertin gibt’s Lob für dieses Vorgehen. Beatrice Durrer Eggerschwiler beschäftigt sich an der Hochschule Luzern mit der Entwicklung von Dörfern und Städten. «Hochdorf hat viel mehr Möglichkeiten, als wenn ein Investor das Areal übernommen hätte.» Diese würden oft möglichst dicht bauen und dann möglichst hohe Mieten verlangen. «Gemeinden müssten das öfters so machen wie Hochdorf. Auch im Hinblick darauf, dass das Wohnen teurer geworden ist», so Durrer.
Dadurch, dass die Hochdorferinnen und Hochdorfer so stark miteinbezogen werden, geniesst das Projekt bis jetzt starken Rückhalt in der Bevölkerung. Ob das so bleibt, wenn die Pläne konkreter werden, wird sich weisen müssen. Der nächste Stimmungstest kommt Anfang 2026, wenn über die nötige Zonenplanrevision abgestimmt wird. Der Baustart soll nach den ambitionierten Plänen der Gemeinde im Jahr 2028 folgen.