Es herrscht Weihnachtsstimmung in der Kinderkrippe Schürmatt im solothurnischen Olten. Die elf Kinder der Gruppe Sternentänzer sitzen mit den Betreuerinnen im Kreis und üben gemeinsam ein Samichlaus-Versli.
Mittendrin dabei: Noah. Sanft lehnt sich der Vierjährige an seine Betreuerin. Das nicht – oder nicht nur – weil er Nähe sucht, sondern weil er alleine nicht aufrecht sitzen kann.
Noah ist ein Kind mit Behinderung. Er kann weder aufrecht sitzen noch laufen oder sprechen und braucht Hilfe beim Anziehen. Trotzdem ist er dabei, wenn die anderen Kinder das Versli üben. Auch wenn er dabei selbst still bleibt.
Für die Krippenleiterin Gabriela Borer war von Anfang an klar, dass man es mit Noah versuchen möchte.
Noah lernt, dass er ein wertvoller Teil von uns ist.
Die Integration bringe allen Beteiligten etwas, ist sie überzeugt. Noah lerne so schon früh, seine Bedürfnisse auf seine Weise mitzuteilen. «Er spürt, dass er einen Platz in der Gruppe hat und ein wertvoller Teil von uns ist.»
Die anderen Kinder wiederum lernen, dass es sehr unterschiedliche Menschen gibt und dass gerade Menschen mit Beeinträchtigungen auf Solidarität angewiesen sind.
Auch für die Eltern von Noah ist die Betreuung in einer Kinderkrippe wertvoll. Neben all den Therapien und Sonderbehandlungen darf der Vierjährige dort einfach Kind sein.
Kita-Plätze sind Mangelware
Einen Betreuungsplatz zu finden, ist für Eltern von behinderten Kindern aber eine grosse Herausforderung.
Gemäss den Zahlen der Behindertenorganisation Procap gibt es in der Schweiz rund 9000 Kinder im Vorschulalter, die eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Behinderung haben. Viele von ihnen haben keinen oder nur einen erschwerten Zugang zu familienergänzender Betreuung.
In einer breiten Studie aus dem Jahr 2021 zeigte Procap auf, dass die Kita-Plätze vor allem bei Kindern mit einer schweren Behinderung Mangelware sind.
Bei Kindern mit leichten Behinderungen ist die Situation deutlich besser. Aber auch dort gibt es grosse kantonale Unterschiede. Während die Westschweiz in Sachen Inklusion im Vorschulalter sehr fortschrittlich ist, gibt es laut Procap in der Ost- und Nordwestschweiz grossen Handlungsbedarf.
Die Procap-Studie hat aufgerüttelt
Seit der Publikation der Studie habe sich die Situation in vielen Kantonen verbessert, sagt Anna Pestalozzi von Procap. In zahlreichen Kantonen hat es seither politische Vorstösse gegeben oder Massnahmen wurden gar bereits umgesetzt. In Luzern zum Beispiel gehört die familienergänzende Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen seit August 2022 zu den kantonalen Aufgaben der Sonderschule. Damit muss der Kanton die Mehrkosten übernehmen.
Auch im Kanton Solothurn tut sich etwas: Der Kantonsrat hat im November entschieden, dass der Kanton allen behinderten Kindern den Kita-Besuch ermöglichen soll, und zwar so, dass es für die Eltern nicht teurer wird, als wenn sie ein gesundes Kind hätten.
Finanzielle Hilfe dank Verein
Zurück zu Noah aus der Kinderkrippe Schürmatt. Auch seine Betreuung kostet mehr, als die der gleichaltrigen Kinder. Die Krippe berechnet den Eltern den «Säuglingstarif», was dem 1.5-fachen des Normaltarifs entspricht.
Die Eltern von Noah haben Glück: Der Verein «Kita inklusiv» übernimmt die Mehrkosten für die Betreuung. Für seinen Einsatz wurde der Verein vom Kanton Solothurn erst kürzlich an der Sozialpreisverleihung mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.