Zum Inhalt springen

Interview zum 1. August Karin Keller-Sutter: «Wir sind nicht unverwundbar»

Der diesjährige Nationalfeiertag steht auch im Zeichen der angedrohten US-Zölle. Die Schweiz habe gut verhandelt, ist Finanzministerin Karin Keller-Sutter überzeugt. Der Ball liege bei den USA – wo es deutlich hektischer zugehe als hierzulande. Generell drehe sich die Welt schneller als früher, findet die Bundesrätin. Umso wichtiger sei es, dass sich die Schweiz in diesem dynamischen Umfeld auf ihre Stärken besinnt und wachsam bleibt.

Karin Keller-Sutter

Bundesrätin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Karin Keller-Sutter ist seit dem 1. Januar 2019 Mitglied des Bundesrats und seit 2023 Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD). Die St. Gallerin wurde 1963 geboren, ist ausgebildete Dolmetscherin und Mittelschullehrerin. Bis 2000 arbeitete sie als selbständige Übersetzerin und Lehrbeauftragte einer Berufsschule. Von 2000 bis 2012 war die FDP-Politikerin Regierungsrätin des Kantons St. Gallen. Von 2011 bis zu ihrer Wahl in den Bundesrat war Keller-Sutter im Ständerat.

SRF News: «In der Schweiz gewinnt man, auch wenn man verliert»: Dieses Motto haben Sie im Zusammenhang mit der Frauen-Fussball-Europameisterschaft verwendet. Gilt das generell?

Karin Keller-Sutter: Ja, das kann man so sagen. Uns geht es sehr gut. Wir haben das Gefühl, wir seien unverwundbar; uns könne nichts treffen. Das stimmt aber nicht. Deshalb muss man immer an den politischen Institutionen und an den Sachthemen arbeiten. Nur dann sind wir gut aufgestellt. Wir müssen auch verlässlich bleiben. Verlässlichkeit ist die neue Währung in der heutigen Zeit, wo jeden Tag etwas verkündet wird und man nicht mehr genau weiss, was genau gilt.

Sie sind zum ersten Mal Bundespräsidentin, was hat Sie am meisten überrascht?

Die Geschwindigkeit der Ereignisse hat nochmals zugenommen.                                  

Ich finde es eigentlich gar nicht so schlecht, wie die Schweiz tickt. Ein bisschen langsamer, ein bisschen überlegter.

Ist das spezifisch in diesem Jahr, in dieser Zeit?

Ich denke, es hat auch mit dem Regierungswechsel in Amerika zu tun. Diese Ankündigungen sind sehr schnell gekommen, allgemein muss alles viel schneller gehen.

Ist das gut?

Es ist nicht immer gut. Ich finde es eigentlich gar nicht so schlecht, wie die Schweiz tickt. Ein bisschen langsamer, ein bisschen überlegter. Nicht immer gleich eine Meinung kundtun, sondern zuerst analysieren und das Gespräch suchen. Es ist ja auch im Privaten besser, wenn man nicht gleich überreagiert.

Bis am 1. August muss der Zolldeal mit den USA kommen. Haben Sie Anzeichen, ob er kommt und wie er kommt?

Die Schweizer Behörden stehen in Kontakt mit den amerikanischen Behörden. Die Unterhändler des Seco haben mit ihren Partnern auf der amerikanischen Seite eine Verständigung ausgearbeitet.

Also, ist alles klar?

Es gibt eine Absichtserklärung, wie man mit dem Thema umgeht. Der Bundesrat hat diese auch gutgeheissen und sie ist jetzt in den USA. Wir warten, ob der Präsident mit dem, was seine Leute ausgehandelt haben, einverstanden ist. Der Bundesrat wäre einverstanden. Wir müssen jetzt noch ein bisschen Geduld haben.

Kein Deal – die Nachricht am Abend

Box aufklappen Box zuklappen

Das Interview zum 1. August mit Karin Keller-Sutter wurde im Vorfeld aufgezeichnet. Am Abend des 31.7. meldete sich die Bundespräsidentin auf X, dass keine Einigung auf die verhandelte Absichtserklärung mit den USA zustande gekommen ist.

Die EU hat eine Vereinbarung mit Trump erzielt, 15 Prozent Zölle. Viele finden das kein tolles Resultat. Haben Sie Hoffnung, dass die Schweiz ein besseres erzielt?

Ich hoffe natürlich, dass wir kein schlechteres Resultat haben. Das wäre für uns keine gute Neuigkeit. Aber ich muss auch sagen: Die Schweiz ist ein wichtiger Handelspartner für die USA und ein wichtiger Direktinvestor. Schweizer Unternehmen wollen in den nächsten Jahren viel in den USA investieren.

Wir haben keine Industriezölle und eigentlich auch keine Probleme. Die Schweiz exportiert viel mehr, als sie importiert: Aber das ist logisch, wir sind ein Exportland. Es ist also wichtig, dass wir eine Lösung haben. Alles, was jetzt kommt an höheren Zöllen, ist ein Schaden für die Wirtschaft.

Sie sagten, Sie hätten den Draht zu Trump gefunden. Sind Sie jetzt enttäuscht, dass wir immer noch keinen Deal haben?

Das war im April, nach einem ersten Kontakt. Dieser Kontakt war ein Türöffner dafür, dass es eine Begegnung mit dem Finanzminister gegeben hat. Guy Parmelin und ich konnten ihn in Washington treffen. Dass es jetzt in den Mühlen der amerikanischen Politik ist, darauf haben wir keinen Einfluss, da können wir nichts machen. Aber ich hoffe, dass wir zusammen eine Lösung finden. Es ist in der Regel nie ganz das letzte Wort gesprochen. 

Nach dem Fall der Mauer 1989 hatten wir eine vergleichsweise ruhige Zeit. Ich glaube, wir sind zurück in der alten Machtpolitik.

Es geht dann also weiter?

Man kann immer wieder weiter im Gespräch bleiben und verhandeln.  

Viele Leute haben das Gefühl, wir sind in einer Zeitenwende, es wird alles schlechter. Was sagen Sie? Wie sehen Sie die Zukunft der Schweiz?

Ich bin nicht sicher, ob es eine Zeitenwende ist. Ich glaube, wir sind eher wieder zurück in der alten Normalität. Wir vergessen gerne, dass wir im letzten Jahrhundert zwei Weltkriege hatten; wir hatten schwierige Zeiten. Danach, nach 1989 – dem Fall der Mauer – hatten wir eine vergleichsweise ruhige Zeit. Ich glaube, wir sind zurück in der alten Machtpolitik. Diese Kräfte verschieben sich vielleicht etwas neu und wir wissen noch nicht genau, wie das herauskommt. Das verursacht eine gewisse Verunsicherung, das kann ich verstehen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir ruhig bleiben und auf unsere Stärken setzen.

Das Gespräch führte Urs Leuthard.

Tagesschau, 29.7.2025, 19:30 Uhr; wilh

Meistgelesene Artikel