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Islamforscher vor Gericht Vergewaltigungs-Prozess gegen Tariq Ramadan beginnt am Montag

Er war populär und er hatte in der islamischen Welt etwas zu sagen: Tariq Ramadan. In der Romandie war der Genfer ein angesehener Islamwissenschaftler. Bis Vorwürfe laut wurden wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung – gleich mehrfach. Nun muss sich Ramadan vor einem Gericht verantworten.

Tariq Ramadan hat die Menschen begeistert. Er hatte etwas zu sagen und er war beliebt. Seit den Vergewaltigungsvorwürfen ist es aber ruhiger geworden um Tariq Ramadan, diesen Intellektuellen, der die Gabe besass, sein Publikum für sich zu gewinnen. «Das Publikum konnte sich mit den Ideen von Tariq Ramadan identifizieren», sagt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze von der Universität Bern.

Ramadan hatte grosse Anhängerschaft

Reinhard Schulze kennt Tariq Ramadan. Er war Ende der 90er Jahre sein Doktorvater, nachdem sich die Universität Genf geweigert hatte, ihm die Promotion abzunehmen. Ramadan habe den Islam in seiner Dissertation sowie seinen Grossvater, der die Muslimbruderschaft gründete, ideologisch zu sehr verherrlicht. Das passte nicht zum Selbstverständnis der Universität Genf.

Älterer Mann mit Brille
Legende: Tariq Ramadan fand schnell eine grosse Anhängerschaft, insbesondere im französischsprachigen Raum. Martial Trezzini/Keystone

Selbst sah sich Tariq Ramadan als Reformer, nannte seine eigene islamische Tradition «Reform-Salafisten», sagt Reinhard Schulze. Er gilt als ein Vordenker eines europäischen Islam, wird aber auch oft als Vordenker des Islamismus kritisiert.

Dennoch fand Tariq Ramadan schnell eine grosse Anhängerschaft. Insbesondere im französischsprachigen Raum, wo er seine Ideen verbreitete und eine politische Identität unter den Muslimen und Musliminnen schaffte. Tariq Ramadan lehrte an verschiedenen Universitäten in der Schweiz und in den USA, zuletzt in Oxford in Grossbritannien. Seine Tätigkeit als Professor für Islamwissenschaft an der Oxford Universität ruht derzeit aufgrund des Vorwurfs der sexuellen Übergriffe.

Vergewaltigungs- und Nötigungsvorwürfe

Nun muss sich Tariq Ramadan vor dem Genfer Strafgericht wegen Vergewaltigung verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, 2008 eine Schweizerin in einem Hotelzimmer sexuell missbraucht zu haben. Zwischen der Klägerin und dem Islamwissenschaftler gibt es zwei diametral entgegengesetzte Versionen. Tariq Ramadan beteuert seine Unschuld und spricht von einem Komplott.

Die Verhandlung dürfte angespannt sein und mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt werden, da es sich um den ersten Auftritt des Islamwissenschaftlers vor einem Gericht wegen Vergewaltigung handelt. In Frankreich, wo die ersten Vorwürfe bereits 2017 an die Öffentlichkeit kamen, ist der Gerichtstermin noch nicht bekannt. Tariq Ramadan verbrachte aber bereits 10 Monate in Frankreich in Untersuchungshaft.

Der heute 60-jährige Tariq Ramadan muss 15 Jahre nach dem mutmasslichen sexuellen Übergriff mit einer mehrjährigen Strafe rechnen. Das Urteil wird voraussichtlich am 24. Mai verkündet. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Tagesschau, 14.05.2023, 19:30 Uhr

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