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Italienische Exklave im Tessin Tessiner Regierungsrat will italienisches Dorf einschweizern

Italien tut sich schwer mit der Sanierung der maroden Gemeinde Campione d'Italia am Luganersee. Jetzt will das Tessin einspringen. Der Vorschlag sorgt für Schlagzeilen.

Campione in Nöten: Die italienische Exklave Campione d'Italia am Luganersee steckt seit dem Konkurs des gemeindeeigenen Casinos vor gut einem Jahr in der Krise. Ein Schuldenberg von mehr als 100 Millionen Euro droht die Gemeinde mit rund 1900 Einwohnerinnen und Einwohner zu erdrücken. Im Zuge der Casino-Pleite verloren mehr als 500 Personen ihre Stelle. Jetzt bietet der Tessiner Regierungsrat Norman Gobbi von der Lega an, das Dorf einzuschweizern, wenn Italien es nicht schaffe, es aus der Krise zu führen. «Er sorgt sich in der Tat um das Schicksal dieses Dorfes», sagt SRF-Tessin-Mitarbieter Gerhard Lob.

Früher ein reiches Dorf: 1917 wurde in Campione das Casino eröffnet, seit 2007 war es im Luxuspalast von Stararchitekt Mario Botta untergebracht, der mehr als 80 Millionen Franken gekostet hat. Bis zur Pleite der Spielbank 2018 wegen Überschuldung – das Spielgeschäft brach nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Schweizerische Nationalbank 2015 ein – lebte Campione im Überfluss. Es war so viel Geld vorhanden, dass die Angestellten keine Gemeinde-Einkommenssteuer entrichten mussten. Doch das hat sich mit der Pleite geändert: «Viele Campionesi haben heute kaum genug Geld zum Leben», sagt Lob. Sie müssten mit einer italienischen Arbeitslosentschädigung auskommen – und das bei Schweizer Lebenshaltungskosten, wie sie in Campione herrschen.

Rot beleuchtetes Casino, vom See aus fotografiert.
Legende: Das früher so mondäne Casino von Campione d'Italia ist seit Juli 2018 ausser Betrieb. zvg

Campione fühlt sich allein gelassen: «Die Menschen in Campione fühlen sich von Italien vernachlässigt», sagt der Journalist Lob. In Italien sehe sich niemand für die Exklave zuständig: Weder in Como, der Bezirkshauptstadt, zu der auch Campione gehört, noch in Rom kümmere man sich um die Probleme der kleinen Gemeinde. Darum harze es auch mit der Sanierung der Gemeindefinanzen. Wenn man die Situation der italienischen Exklave auf der Karte anschaue, sei ein Beitritt zur Schweiz eigentlich kein Problem, findet Lob. «Aber ob das machbar ist und ob der Wille dazu vorhanden ist, die Gemeinde abzugeben, ist eine andere Frage.»

Kaum Sukkurs für Gobbi aus Italien: Zwar gab es nach dem Casino-Konkurs vor einem Jahr eine Petition der Campionesi, welche den Beitritt zur Schweiz forderte. Doch: «Bestimmt die Hälfte der Einwohner ist dagegen – die Italianità ist in Campione doch sehr verwurzelt», sagt der SRF-Mitarbeiter. Ausserdem sind die Reaktionen von italienischen Politikern auf Gobbis Beitrittsvorschlag vernichtend. In den lokalen Medien hätten sich zwei Vertreter der neuen italienischen Regierungsparteien PD und Cinque Stelle zu Wort gemeldet und gesagt, Italien sei nicht käuflich. «Dahinter steckt sicher auch Stolz: Man will nicht eingestehen, dass man in Italien nicht in der Lage ist, die Probleme Campiones zu lösen», ist Lob überzeugt.

Schweizerisch-italienische Hybridgemeinde

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Dass Campione – völlig umschlossen von eidgenössischem Territorium – zu Italien gehört, geht auf das Jahr 777 zurück. Damals vermachte der langobardische Herrscher Toto von Campione das Gebiet dem Kloster Sant'Ambrogio in Mailand. Heute ist die italienische Exklave wirtschaftlich stark mit der Schweiz verbandelt: Schweizer Post, Schweizer Telefonnummern, Schweizer Autonummern, Schweizer Müllabfuhr, Schweizer Abwasserreinigung und der Franken ist Hauptzahlungsmittel, um nur einige Merkmale zu nennen. Doch vieles davon soll ab kommendem Jahr ändern: Dann soll Campione d'Italia in die Zollunion der EU integriert werden. Schweizer Autonummern und andere Leistungen der Schweiz sowie die Abhängigkeit vom Schweizer Franken sind dann Geschichte.

Karte mit der Verortung von Campione d'Italia.
Legende: SRF

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