Eine Mutter mit Kinderwagen und einem kleinen Mädchen im Schlepptau rennt über die Tramgeleise, trotz Rotlicht, geschlossener Barriere und Warnglocke. Ein Jugendlicher auf einem E-Trottinett biegt überraschend ab und merkt erst in letzter Sekunde, dass er gleich in einen Zug fährt. Er rettet sich mit einem Sprung und landet auf der Strasse – wo ein heranfahrendes Auto rechtzeitig bremsen kann.
Diese und weitere Szenen verbreitet das Transportunternehmen Aargau Verkehr (AVA) aktuell in einem Video. Es sind anonymisierte Aufnahmen von Sicherheitskameras, echte Situationen aus dem Alltag, begleitet von dramatischer Musik und eindringlichen Worten des Bahnpersonals: «Es braucht wenig, bis etwas passiert. Im ersten Moment ist es ein schlimmes Gefühl.»
Dramatische Videos
Aargau Verkehr betreibt unter anderem die Limmattalbahn oder auch die Wynental-Suhrentalbahn (WSB), also Regionalzüge, die viele Bahnübergänge passieren müssen und oft entlang der Strasse verkehren. Unfälle gibt es mit Fussgängerinnen, Autos, E-Trottinetts und anderen Fahrzeugen.
Kampagnen für mehr Sicherheit im öffentlichen Verkehr sind nicht neu. Der Aargauer Verkehrsbetrieb überrascht aber vor allem mit der Dramatik seiner Videos.
«In solchen brenzligen Situationen ist sehr häufig ein Smartphone zu sehen», sagt Michael Briner von AVA. «Wir möchten deshalb dafür sensibilisieren, dass die Menschen im Bereich von Strassen und Schienen ihr Handy weglegen und sich konzentrieren.»
Lokführer hofft, dass es reicht
Die Situationen sind für Fussgängerinnen und Autofahrer (lebens-)gefährlich. Für das Fahrpersonal führen die unaufmerksamen Leute vor allem zu sehr belastendem Stress.
Daniel Wernli, Lokführer bei Aargau Verkehr, sagt gegenüber SRF: «Es ist ein ungutes Gefühl. Man bremst, man fährt direkt darauf zu. Man hofft, dass es reicht und nichts passiert.» Wernli kann nur «hornen», also das Achtungssignal abgeben und eine Schnellbremsung einleiten, mehr nicht.
Eine Passantin meint zu den Bildern der Kampagne: «Ich finde es nicht fair, dass man nur den Kindern sagt, sie sollen stehen bleiben. Aber die Erwachsenen machen das Gegenteil.» Tatsächlich würden Erwachsene den Bremsweg eines Zugs massiv unterschätzen, heisst es bei Aargau Verkehr. Rund 30 Mal im Jahr kommt es bei Regionalzügen der AVA zu Kollisionen, mehrheitlich mit Fahrzeugen, seltener direkt mit Personen.
Allein im Aargau über 100 Strafanzeigen
Dazu kommen zahlreiche Fast-Unfälle: «Unser Fahrpersonal meldet jedes Jahr Hunderte von Zwischenfällen», sagt Michael Briner von AVA. Das sei nicht nur gefährlich, sondern auch verboten. Aber nur ein kleiner Teil der Fälle hat auch juristische Konsequenzen. «In den letzten Jahren haben wir im Schnitt rund 120 Strafanzeigen eingereicht wegen Personen, die unsere Geleise überschreiten.»
Wer verurteilt wird, bezahlt eine Busse wegen Verstosses gegen das Eisenbahngesetz. Kommt es zu Unfällen oder Behinderungen, dann drohen auch Geld- und Freiheitsstrafen. Vor allem aber drohen Verletzungen oder sogar der Tod.
Die Unfallzahlen seien in den letzten Jahren zwar nicht gestiegen, sagt Michael Briner. Allerdings beobachte das Fahrpersonal immer mehr Ablenkungen. Briner hofft, dass die Kampagne wirkt. Denn der Verkehr nehme zu, es gebe immer mehr Verkehrsteilnehmende mit verschiedenen Fahrzeugen – nur mit mehr Aufmerksamkeit können Unfälle verhindert werden.