Auf den Schlachtfeldern in Syrien und Irak ist die Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) scheinbar fast besiegt. Dennoch bleibt die Zahl der Fälle von Terror-Unterstützern und -Sympathisanten auch in der Schweiz hoch. Das geht aus dem Tätigkeitsbericht 2017 der Bundesanwaltschaft (BA) hervor.
Rund 60 Verfahren hängig
Im Bereich Terrorismusbekämpfung wurden 17 Strafverfahren neu eröffnet. Das zeigt gemäss der BA, dass das Phänomen nichts an Bedeutung verloren habe. Insgesamt seien rund 60 Verfahren hängig, teilt eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft auf Nachfrage von SRF mit.
Die grösste Zahl der Verfahren laufen gegen mutmassliche Propagandisten, aber auch gegen Rückkehrer aus dem Kampfgebiet Syrien und Irak. IS-Unterstützer können in der Schweiz mit Gefängnis bestraft werden – allerdings sollen einige von ihnen auch therapiert werden.
Wie umgehen mit diesen Radikalisierten?
Im Dezember haben Bund, Kantone und Gemeinden einen Nationalen Aktionsplans (NAP) vorgestellt, der Radikalisierung und gewalttätigen Extremismus in all ihren Formen ins Visier nimmt. Beim NAP ist die Prävention von entscheidender Bedeutung und stellt die zentrale Frage, wie man mit Radikalisierten umgehen soll.
Dabei wird ein Programm in Zürich als Vorbild genannt. Es heisst «Radip», Radikalisierungs-Intervention, und wird vom Zentrum für Kinder- und Jugend-Psychiatrie der Universitätsklinik Zürich durchgeführt.
Im Programm geht es darum, Zweifel zu sähen, denn Jugendliche in extremistischen Netzen verlieren ihre Persönlichkeit.
Im Programm gehe es in erster Linie darum, «Zweifel zu sähen», erklärt Chefärztin Cornelia Bessler: «Jugendliche, die sich in extremistischen Netzen verfangen, verlieren ihre Persönlichkeit und ihre persönlichen Ziele. Diese gehen auf in der Zielsetzung des Netzwerks und der Gruppierung. Denn dort ist Gehorsam gefordert, während die eigene Reflexion unterbunden wird. Diese eigene Reflexion muss erst wieder angeregt werden.»
Das Zürcher Programm «Radip» ist aber nicht für sämtliche Extremisten gedacht, sondern es können ausschliesslich Personen aufgenommen werden, die in einem Strafverfahren stehen oder bereits verurteilt worden sind. Somit werden die Extremisten per Beschluss einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts zur Teilnahme verpflichtet.
Ohne Einverständnis, mit Zwang oder Massnahmen, werden wir nichts erreichen.
Zwang wirkt nicht
Diesen Zwang sieht der deutsche Psychologe und Extremismus-Experte Ahmad Mansour kritisch. Er leitet selber Deradikalisierungs-Programme und sagt, Deradikalisierung funktioniere nur mit Freiwilligkeit.
«Ohne dieses Einverständnis, mit Zwang oder Massnahmen, werden wir nichts erreichen. Die Leute werden kommen, weil sie kommen müssen. Sie werden sagen, was wir hören wollen und danach bestehen immer noch die Radikalisierungstendenzen», erklärt Mansour.
In Zürich mache man andere Erfahrungen, entgegnet Chefärztin Bessler: «Wer geht schon freiwillig in eine Therapie? Nur ein kleiner Teil der Patienten kommt ganz freiwillig, weil sie einen Leidensdruck haben. Aber Extremisten haben keinen Leidensdruck. Es ist ja ihre Identität oder Zukunftsidee. Und dann werden sie eben geschickt. Aber es funktioniert sehr gut.»
Wie viele Extremisten an dem Programm teilnehmen, sagt Bessler nicht. Der Bedarf in der ganzen Schweiz jedenfalls sei gestiegen.