Eine Übersicht über die Ereignisse in den Monaten vor dem Entscheid des Bundesrates, den amerikanischen Kampfjet F-35A des Herstellers Lockheed Martin kaufen zu wollen.
18. November 2020
Nach zwei Offertrunden für den neuen Kampfjet der Schweizer Armee, die fast zweieinhalb Jahre gedauert haben, übergeben die vier Bewerber F-35A (Lockheed-Martin, USA), F/A-18 Super Hornet (Boeing, USA), Rafale (Dassault, Frankreich) und Eurofighter (Airbus, Deutschland) dem Bundesamt für Rüstung (armasuisse) ihre zweiten und endgültigen Offerten.
Diese Kampfjets standen zur Auswahl
Januar 2021
Bei Besuchen in den Herstellerländern fordert Rüstungschef Martin Sonderegger die Bewerber auf, innerhalb einer Frist von zwei Wochen gegenüber armasuisse zu bestätigen, dass es sich bei der Offerte vom 18. November 2020 um ihr letztes und vorteilhaftestes Angebot handle («Best and Final Offer»).
Alternativ eröffnet er ihnen überraschend aber die Möglichkeit, innerhalb der gleichen Frist ihre Offerten «zu optimieren» und in diesem Fall zu bestätigen, dass es sich bei diesen um das letzte und beste Angebot handle, wie armasuisse im Kurzbericht zur Evaluation des neuen Kampfflugzeugs schreibt.
11. Februar 2021
Die vier Bewerber übergeben die «optimierten» Bewerbungsunterlagen. Sie werden von armasuisse unter notarieller Aufsicht geöffnet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt verfügt armasuisse über alle benötigten Daten der Bewerber.
15. März 2021
Der dreiköpfige Sicherheitsausschuss (SiA) des Bundesrates unter dem Vorsitz von Verteidigungsministerin Viola Amherd kommt zu einer Sitzung zusammen. Im Ausschuss vertreten sind ebenfalls Justizministerin Karin Keller-Sutter und Aussenminister Ignazio Cassis. Weil entgegen der Gepflogenheiten auch die Generalsekretariate der drei Departemente anwesend sind, nennt sich das Gremium «SiA-spezial».
Die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen im Finanzdepartement EFD von Ueli Maurer, Daniela Stoffel, nimmt als Gast an der Sitzung teil und macht «mündlich eine Auslegeordnung der fiskalischen und Finanzmarkt-relevanten möglichen Gegengeschäfte» mit Frankreich. Dies bestätigt das EFD gegenüber Radio SRF.
Der «SiA-spezial» beschliesst, die Departemente damit zu beauftragen, «politische Gegengeschäfte» bei allen anbietenden Ländern zu «evaluieren».
22. März 2021
Verteidigungsministerin Viola Amherd empfängt ihre französische Amtskollegin Florence Parly zu einem Arbeitsbesuch in Bern. Amherd spricht mit der französischen Verteidigungsministerin auch «über den Stand des Projekts zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge», wie ihr Departement nach dem Treffen mitteilt.
Ende März 2021
Armasuisse übergibt die geheimen Resultate seiner Evaluation der Kampfjet-Offerten an Departementschefin Amherd, wie das Bundesamt später gegenüber dem Onlinemagazin «Republik» bestätigt. Danach sei, so das Verteidigungsdepartement VBS, der Evaluationsbericht verfasst worden, was eine «rein redaktionelle Arbeit» gewesen sei, welche «keine Auswirkungen auf die Rangfolge oder den Abstand zwischen den Kandidaten» mehr gehabt habe.
31. März 2021
Der französische Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ist zu Besuch in der Schweiz. Er wird vom damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin und von Finanzminister Ueli Maurer auf dem Landsitz Lohn in Kehrsatz zu einem Abendessen empfangen.
Ebenfalls für das Diner aus Paris eingeflogen ist der Botschafter der Schweiz in Frankreich, Roberto Balzaretti. Am Tisch sitzen zudem die Staatssekretärin für internationale Finanzfragen, Daniela Stoffel, und die Staatssekretärin für Wirtschaft, Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch.
Nach dem Treffen teilt das Finanzdepartement offiziell mit, man habe sich unter anderem über «bilaterale und multilaterale Steuerfragen» unterhalten. Wie aus Dokumenten hervorgeht, die Radio SRF vorliegen, haben die beiden Länder an diesem Abend vereinbart, eine «strategische Partnerschaft» anzustreben.
21. April 2021
Der «SiA-spezial» unter Vorsitz von Verteidigungsministerin Amherd kommt erneut zu einer Sitzung zusammen. Als Gast anwesend ist diesmal Livia Leu, Staatssekretärin im Aussendepartement EDA. Dieses schreibt auf Anfrage von Radio SRF dazu: «Im SiA-spezial vom 21.4.2021 wurde das EDA gemäss Antrag des VBS beauftragt, die aussenpolitischen Aspekte für den Air2030-Bericht zu koordinieren und eine aussenpolitische Gesamtschau der Beziehungen der Schweiz zu den Herstellerländern zu erstellen.» Das VBS bestätigt seinerseits ebenfalls: «Die Chefin VBS hat den Vorsteher EDA gebeten, als für aussenpolitische Fragen federführendes Departement die aussenpolitische Analyse zu übernehmen. Der Vorsteher EDA war mit dem Vorgehen einverstanden.»
Die Chefin Sicherheitspolitik hat die Chefin VBS über die Ergebnisse der Besprechungen in dieser Arbeitsgruppe jeweils informiert.
Wie mehrere Quellen gegenüber Radio SRF bestätigen, wird eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Livia Leu gebildet, der die beiden Staatssekretärinnen Stoffel und Ineichen-Fleisch, phasenweise auch Gabriel Lüchinger, persönlicher Mitarbeiter des damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin, und Pälvi Pulli, die Chefin Sicherheitspolitik im VBS, angehören. Das VBS bestätigt gegenüber Radio SRF: «Die Chefin Sicherheitspolitik hat die Chefin VBS über die Ergebnisse der Besprechungen in dieser Arbeitsgruppe jeweils informiert.»
Anfang Mai 2021
Die Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretärin Livia Leu trifft sich (gemäss Angaben des VBS gegenüber Radio SRF) zu einer letzten Sitzung.
12. Mai 2021
Für die vier Offertsteller völlig überraschend fordert sie das Bundesamt für Rüstung armasuisse plötzlich auf, «einen nachgeführten Zahlungsplan gemäss Vorgaben des VBS zu offerieren, ohne ihre Angebote im Übrigen anzupassen», wie armasuisse im Kurzbericht zur Evaluation selber schreibt.
Gemäss dem Schreiben, das Radio SRF vorliegt, hat das VBS in letzter Minute realisiert, dass es in den kommenden Jahren auch noch «andere wichtige Projekte aus dem regulären VBS-Budget finanzieren muss.» Aus einer Tabelle geht hervor, dass das VBS erst ab 2025 über grössere finanzielle Mittel verfügt, um die neuen Kampfjets bezahlen zu können.
17. Mai 2021
Der «SiA-spezial» unter Vorsitz von VBS-Vorsteherin Amherd trifft sich zu seiner letzten Sitzung vor dem Kampfjet-Entscheid des Bundesrates.
Wieder ist Staatssekretärin Livia Leu aus dem EDA zu Gast. Das EDA schreibt gegenüber Radio SRF, Frau Leu habe über die Ergebnisse ihrer Abklärungen im Auftrag des «SiA-spezial» informiert: «Dieser Auftrag wurde mit einer Rückmeldung des EDA im SiA-spezial vom 17.5.2021 erfüllt und damit beendet.»
Nach Darstellung des VBS präsentiert Bundesrätin Amherd den anderen Mitgliedern des «SiA-spezial» (Karin Keller-Sutter und Ignazio Cassis) das Ergebnis der Kampfjet-Evaluation. Dabei habe man «einhellig festgestellt», so das VBS in einer späteren Stellungnahme, «dass der Abstand zwischen dem F-35A zu den Mitbewerbern sehr klar und dermassen gross» gewesen sei, dass «klar war, dass mit den Herstellerländern keine Verhandlungen zu führen waren.» Das EDA bestreitet diese Darstellung.
Anfang Juni 2021
Gemäss Darstellung des VBS informiert Bundesrätin Viola Amherd die übrigen Mitglieder des Bundesrats, die nicht dem «SiA-spezial» angehören, «persönlich und mündlich über das Resultat (der Evaluation) und die einhellige Feststellung des SiA», wonach keine Verhandlungen mit Herstellerländern zu führen seien. Das EFD bestreitet diese Darstellung.
2. Juni 2021
Die Antworten der Kampfjet-Bewerber mit dem von armasuisse am 12. Mai geforderten «nachgeführten Zahlungsplan» werden von armasuisse unter notarieller Aufsicht entgegengenommen.
7. Juni 2021
Armasuisse liefert Bundesrätin Viola Amherd den definitiven Evaluationsbericht zur Kampfjet-Beschaffung ab.
8. Juni 2021
Finanzminister Ueli Maurer richtet sich in einem Brief, der Radio SRF vorliegt, an seinen französischen Amtskollegen Bruno Le Maire. Er bittet darin um eine «rasche Antwort» mit «konkreten Angaben» zur Ende März beim Abendessen in Kehrsatz andiskutierten «strategischen Partnerschaft».
17. Juni 2021
Aussenminister Ignazio Cassis trifft in Paris seinen französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian. Im Mittelpunkt der Gespräche seien «bilaterale Themen» gestanden, teilt das EDA danach mit, «mit der Absicht der Schweiz, die Beziehungen zu Frankreich weiter zu stärken.»
18. Juni 2021
Der Bundesrat diskutiert ein erstes Mal, allerdings nur kurz, über den anstehenden Entscheid zur Typenwahl des neuen Kampfjets, wie Bundesratssprecher André Simonazzi im Rahmen der bundesrätlichen Medienkonferenz danach bekannt gibt.
Gemäss bislang unbestätigten Informationen informieren die Bundesräte Ueli Maurer und Ignazio Cassis im Rahmen dieser Sitzung den Bundesrat über den Stand ihrer Gespräche mit Frankreich.
22. Juni 2021
Der damalige Bundespräsident Guy Parmelin telefoniert mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, wie sein Departement bestätigt.
23. Juni 2021
Gemäss den ursprünglichen Plänen hätte der Bundesrat an diesem Tag eigentlich den endgültigen Entscheid über die Wahl des Kampfjettyps fällen sollen. Aufgrund der erhaltenen Informationen in der Vorwoche über die laufenden Gespräche über «politische Gegengeschäfte» ist der Kampfjet aber kein offizielles Sitzungs-traktandum.
Der Bundesrat beauftragt Finanzminister Ueli Maurer stattdessen, bei seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire eine schriftliche Bestätigung für die «politischen Gegengeschäfte» im Rahmen der geplanten strategischen Partnerschaft» einzuholen. Dies bestätigen vier voneinander unabhängige Quellen gegenüber Radio SRF.
Vor den Medien erklärt Bundesratssprecher Simonazzi an diesem Tag bloss, der Bundesrat habe über «die Art und Weise, wie er die Diskussion im Hinblick auf seinen Entscheid» zum Kampfjet führen wolle, diskutiert.
28. Juni 2021
Die verlangte schriftliche Bestätigung des französischen Wirtschafts- und Finanzministers Bruno Le Maire trifft in Form eines kurzen Schreibens in der Schweiz ein. Es enthält die Zusagen für eine höhere Beteiligung der Schweiz an den Steuereinnahmen der französischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger und für die volle Unterstützung Frankreichs in allen europapolitischen Dossiers.
30. Juni 2021
Der Bundesrat beschliesst, 36 Kampfflugzeuge des Typs F-35A beim US-Hersteller Lockheed Martin zu kaufen. Verteidigungsministerin Amherd begründet den Entscheid an einer Medienkonferenz damit, dass der F-35A in der Evaluation klar am besten abgeschnitten habe.
29. Januar 2022
Das VBS hält in einer Stellungnahme gegenüber der Zeitung «Schweiz am Sonntag» fest, Departementschefin Amherd habe nichts von Verhandlungen über «politische Gegengeschäfte» mit Herstellerländern gewusst: «Wenn solche stattgefunden haben, dann ohne Wissen der Departementsvorsteherin und des VBS», behauptet das VBS.