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Kantönligeist im Asylwesen Manche sitzen weiter im Gefängnis – andere kommen frei

Ausschaffungen sind derzeit nicht möglich. Trotzdem behalten viele Kantone abgewiesene Asylbewerber in Haft.

Sechs Monate lang war der junge Algerier im Gefängnis. Der Mann möchte anonym bleiben. Am 16. März, zu Beginn des Lockdowns in der Schweiz, sei er freigelassen worden. Er sei vor zweieinhalb Jahren in die Schweiz gekommen, wo sein Asylantrag abgelehnt wurde. Er kam in Ausschaffungshaft, da er nicht freiwillig nach Algerien zurückkehren wollte.

Nach seiner Freilassung habe er zwei Wochen bei einer Freundin gewohnt. Dann habe er das Sozialamt kontaktiert. Jetzt lebt der abgewiesene Asylbewerber in einem Asylzentrum in einer Basler Vorortsgemeinde. Dort erhält er Nothilfe. 240 Franken im Monat.

Ausschaffungshaft oder nicht?

Baselland habe alle seine Ausschaffungshäftlinge freigelassen, nachdem der Bundesrat die ausserordentliche Lage erklärt hat, sagt Andreas Räss. «Laut Gesetz muss die Haft beendet werden, wenn der Vollzug einer Wegweisung nicht mehr durchführbar ist», sagt der Leiter des Amts für Migration im Kanton Baselland. Zu diesem Schluss kommen auch Basel-Stadt und Genf.

Symbolbild: Blick durch ein vergittertes Fenster eines Gefängnisses.
Legende: Manche abgewiesene Asylbewerber müssen im Gefängnis bleiben, obschon eine Ausschaffung in nächster Zeit kaum möglich ist. Keystone

Anders zum Beispiel der Kanton Zürich. Ein halbes Dutzend Dublin-Fälle habe man freigelassen, heisst es. Das sind Migrantinnen und Migranten, die bereits in einem anderen europäischen Land Asyl beantragt hatten. Über 40 Personen befänden sich aber noch in Ausschaffungshaft. Man prüfe jeden Einzelfall, schreibt das Migrationsamt des Kantons Zürich.

Kantone entscheiden selber

Diese Praxis stützt auch das Staatssekretariat für Migration (SEM). Während der Coronakrise empfehle man nicht pauschal, Ausschaffungshäftlinge freizulassen, sagt ein Sprecher des SEM. Letztlich liege es im Ermessensspielraum der Kantone. Das betont auch Marcel Suter, Präsident der kantonalen Migrationsbehörden. Die Kantone seien frei in ihrer Einschätzung ob Ausschaffungsflüge absehbar seien oder nicht.

Lea Hungerbühler kritisiert den Kantönligeist in der Ausschaffungshaft. Für die Präsidentin des Vereins Asylex, der Menschen in Ausschaffungshaft in verschiedenen Kantonen rechtlich berät, ist es nicht gerechtfertigt, dass es zwischen den Kantonen so grosse Unterschiede gibt. «Entweder ist eine Ausschaffung absehbar oder nicht. Und das gilt für die ganze Schweiz», sagt sie.

Ist die Haft verhältnismässig?

Es sei unrealistisch, dass in diesem Jahr noch Ausschaffungsflüge stattfinden könnten, sagt die Anwältin Hungerbühler. Menschen in Ausschaffungshaft seien keine Verbrecher. Sie seien in Haft, weil sie keine Aufenthaltsbewilligung haben und nicht bereit sind, freiwillig die Schweiz zu verlassen. Hungerbühlers Ansicht nach ist es unverhältnismässig, sie im Gefängnis zu behalten.

Die Situation sei nicht befriedigend, sagt auch Regula Mader, Prädidentin der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter. Auf der einen Seite stehe die Hoheit der Kantone, auf der anderen internationale Empfehlungen. So sagt beispielsweise die europäische Kommission für Menschenrechte, dass die Länder in der Coronapandemie die Ausschaffungshaft so weit wie möglich reduzieren sollen.

Schon länger Kritik am Kantönligeist

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Das Problem des unterschiedlichen Umgangs mit Ausschaffungshäftlingen besteht nicht erst seit der Coronakrise. Die Kommission zur Verhütung von Folter kritisiert seit Jahren, dass in den Kantonen unterschiedliche Haftbedingungen herrschen. Kürzlich präzisierte auch das Bundesgericht, dass in gewissen Kantonen Handlungsbedarf bestehe. Ausschaffungshäftlinge dürften nur in absoluten Ausnahmefällen in gewöhnlichen Gefängnissen mit Straftätern sitzen, wie das in einigen Kantone noch üblich ist, stellte das höchste Schweizer Gericht in einem Urteil fest.

Echo der Zeit vom 14.5.2020, 18.00 Uhr

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