Eine schmale Strasse verbindet die kleinen Dörfer, die an den Hängen des abgeschiedenen Tals kleben. Im Dörfchen Loco steht eine einsame Gestalt im Schatten eines Hauses. Es ist eine 80-jährige Witwe, die ihren Namen nicht verraten will: «Viele sagen, diese Abstimmung habe bei ihnen eine Narbe hinterlassen. Sie sind enttäuscht, weil sie nicht wissen, wie es weitergehen soll.»
Die Befürworter erhofften sich vom Park wirtschaftlichen Aufschwung. Sie selber sehe schwarz für das Tal: «Alle Jungen gehen weg, die Alten sterben aus. Bis in zwanzig Jahren wird sich das Tal vielleicht schon entleert haben», sagt die alte Frau und geht vorbei am Lebensmittelgeschäft, in dem eine Südamerikanerin hinter der Kasse sitzt. In der einzigen Beiz im Ort isst sie jeden Tag das Mittagessen, um Gesellschaft zu haben.
Die Leute ignorieren sich. Sie reden nicht mehr miteinander.
An einem Nebentisch sitzt Roberto Carazzetti, Präsident des Patriziats Onsernonetal und ein grosser Befürworter des Parks: «Der harte Abstimmungskampf hat Narben hinterlassen. Die Geschichte ist nicht zu Ende», sagt er. Die Abstimmung beeinflusse immer noch den Alltag. Die Park-Frage habe Familien zerrissen. Die Streitereien seien nun stummen Feindseligkeiten gewichen: «Die Leute ignorieren sich. Sie reden nicht mehr miteinander. Das ist ärgerlich.»
Die Strassenseite wechseln, wenn es nur eine schmale Strasse gibt, ist schwierig. Je kleiner das Dorf, desto spürbarer die schlechte Stimmung. Er versuche mit allen zu reden. Auch mit denen, die ihn ignorierten, weil er für den Park war, sagt der einzige unter Vierzigjährige im Lokal, Nadir Cortesi: «Die Probleme, die der Park gelöst hätte, existieren immer noch. Jetzt müssen wir das Blatt wenden und versuchen, miteinander die Probleme zu lösen, damit wieder junge Familien im Tal leben können.»
Doch es fehlen Zukunftsprojekte. Rund 80’000 Franken pro Jahr hätte der Bund an Park-Projekte bezahlt. Das hätte Arbeitsplätze gegeben, sagen die Befürworter. Sie werfen den Gegnern vor, dass diese keine Ideen hätten, wie das abgeschiedene Tal überleben könnte.
Zu hohe Erwartungen geschürt?
Einer der vehementesten Nationalpark-Gegner lebt ausserhalb des Tals. Der passionierte Jäger und CVP-Nationalrat Fabio Regazzi bedauert die angespannte Stimmung im Tal: «Meiner Meinung nach haben die Park-Promotoren viel zu grosse Erwartungen geschürt. Sie taten so, als würden durch den Park und die damit verbundene Geldspritze des Bundes alle Probleme dieser abgelegenen Täler gelöst.»
Jetzt, wo der Park nicht komme, herrsche Katerstimmung. Dabei liesse sich mit etwas Kreativität schon einiges machen, ist Regazzi überzeugt. Er plädiert dafür, dass das Gebiet rund ums Onsernonetal ein kleinerer Park, ein sogenannter «Regionaler Naturpark», werde. Ganz grundsätzlich sind solche regionalen Parks in der Schweiz viel weniger stark reglementiert. Das führt automatisch zu weniger Gegenwehr, zu weniger Kritik.
Vision für die Zukunft fehlt
Regazzi sagt, das Beispiel Binntal im Wallis zeige, wie gewinnbringend ein kleiner Park sein könne. Dass aus gescheiterten Nationalpark-Projekten Regionalpark-Projekte werden können, macht zurzeit übrigens gerade das Calanca-Tal in der italienischsprachigen Schweiz vor.
Im Onsernonetal aber gibt es zurzeit keine Zukunftsvisionen, und dass sich dessen Bewohner aufraffen können, konstruktiv über eine neue Park-Idee nachzudenken, scheint angesichts der angespannten Stimmung undenkbar.