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Kein Grab über dem Thunersee Sein letzter Wunsch blieb unerfüllt

Der Amerikaner George Gallup hat die repräsentative Umfrage erfunden. In Sigriswil am Thunersee suchte er Ruhe. Seine letzte Ruhe wurde ihm dort jedoch verweigert.

Verstreut liegen kleine Chalets am Berghang. Im Tal glitzert der Thunersee in der Herbstsonne. Das Geläut von Kuhglocken durchdringt die Stille auf der Terrasse des Hauses, in dem der Amerikaner George Gallup rund die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens, mindestens die Sommerferien, verbracht hat. Im beschaulichen Sigriswil am Thunersee habe der grosse Sozialforscher Ruhe und Entspannung gesucht, erklärt Christoph Bangerter. Seine Eltern waren eng mit dem Ehepaar Gallup befreundet. An das Holzhaus hat Christoph Bangerter sehr gute Erinnerungen. «Die Gallups waren stets sehr gastfreundlich, zuvorkommend und auch bescheiden.» Bangerter bewundere George Gallup dafür, mit welch aufrichtigem Interesse und Geduld er auch ihm begegnet sei. Einem damals, wie er selbst sagt, «sich in der Spätpubertät befindenden Medizinstudenten».

Ein «leuchtendes Vorbild», auch für Schweizer Wahlforscher

Auch Claude Longchamp, der bekannte Wahlforscher mit der Fliege, bewundert George Gallup. Er sei für ihn ein «leuchtendes Vorbild». Er habe die Stichprobe erfunden und so bei der US-Präsidentschaftswahl von 1936 das richtige Ergebnis vorhergesagt.

Zu seinen Lebzeiten gehörte George Gallup zu den 50 wichtigsten Sozialwissenschaftlern.
Autor: Claude Longchamp Wahlforscher

Auch wenn die von ihm erfundene Methode, Stichproben zu bilden, inzwischen veraltet sei, konnte er dennoch demonstrieren, dass man mit der Befragung einer kleinen Gruppe ein Ergebnis korrekt vorhersagen könne. «Zu seinen Lebzeiten gehört George Gallup zu den 50 wichtigsten Sozialwissenschaftlern», so Longchamp weiter.

Die letzte Ruhe verweigert

Nicht nur das ehemalige Haus von George Gallup ist malerisch gelegen, sondern auch der Friedhof der Gemeinde Sigriswil. An den Grabsteinen vorbei geht der Blick auf den Thunersee und die dahinter liegenden Berge. Doch auf den Steinen sucht man einen Namen vergebens: George Gallup. Dies, obwohl er sich gewünscht hatte, in Sigriswil bestattet zu werden, bevor er im Juli 1984 in der Schweiz verstarb. Für die Eltern von Christoph Bangerter war dies nicht weniger als ein Skandal: «Besonders meinen Vater hat dies sehr getroffen.»

Bestattung nur mit steuerrechtlichem Wohnsitz

«Der Platz auf dem Friedhof war damals knapp», erklärt der ehemalige Gemeindepräsident von Sigriswil, Peter Tschanz (SVP). Die Anfrage in Bezug auf Herrn Gallup sei nicht die Einzige gewesen. Man habe im Grundsatz entschieden, dass nur beerdigt werden darf, wer auch steuerrechtlichen Wohnsitz in Sigriswil gehabt habe. «Deshalb konnten wir im Fall von George Gallup keine Ausnahme machen.» Es allein mit seiner Prominenz zu erklären, wäre schwierig geworden.

Letzte Ruhe im Land der direkten Demokratie

Wie Christoph Bangerter bedauert auch Claude Longchamp, dass ein Begräbnis in Sigriswil nicht möglich war. George Gallup sei in die Schweiz gekommen, um die direkte Demokratie zu erforschen. Da hätte es auch zu ihm gepasst, im Land der direkten Demokratie seine Ruhe finden zu können – an einem Ort mit grosser Tradition für Volksversammlungen. Das Platzproblem auf dem Friedhof Sigriswil hat sich indes von allein gelöst. Durch ein Gemeinschaftsgrab und immer weniger Erdbestattungen stehen die Grabsteine mit Aussicht weniger eng als noch vor einigen Jahrzehnten.

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